WAK.MB-Debatte.9-08-HGG

Aus LeipzigWiki
Zur Navigation springenZur Suche springen

Home Hauptseite / WAK / WAK.AG-Diskurs / WAK.MB-Debatte / WAK.MB-Debatte#Innerparteiliche_Prozesse

Beitrag aus dem Mitteilungsblatt 9-2008 des Stadtverbands der Linkspartei. Erwiderung auf zwei Beiträge aus dem Mitteilungsblatt 7+8-2008.

Antistalinistischer Gründungskonsens am Ende?

(auf die im Mitteilungsblatt akzeptierte Länge gekürzt und aktualisiert)

Liebe Petra Blume, lieber Siegfried Heinrich!

Es ist unter uns üblich geworden, vorab auf die relative Bruchlosigkeit der eigenen DDR-Biographie als Indiz dessen hinzuweisen, dass „nicht alles schlecht“ war. Ich will diesen Punkt, bezogen auf meine Person, nicht über Gebühr strapazieren. Allein auf eine Tatsache will ich hinweisen: ich bin 1976 in eine Partei eingetreten und seither aus keiner ausgetreten. Ich weiß also, wovon ich im Folgenden schreibe.

Dass der von euch harsch kritisierte „Herr M.“ auf eine weniger bruchlose Biografie verweisen kann, war für diejenigen, die sehen und hören wollten, lange bekannt. Ob eine solche „schillernde Persönlichkeit“, wie der Dresdner Korrespondent Michael Bartsch in der TAZ am 28.07. meint, zum Freiwild einer innerparteilichen Rufmordkampagne taugt, darf aus zwei Gründen bezweifelt werden – aus allgemein-ethischen und aus spezifisch-historischen dieser Partei.

Genosse Külow fordert in seinem Referat auf der SDK am 21.6., die 89er Ereignisse „nach bis heute uneingelösten Erwartungen ... zu durchforsten.“ Euch scheint dabei mehr die angemessene Würdigung der eigenen DDR-Biografien umzutreiben, die ihr offensichtlich nicht nur durch die Birthlers und Knabes, sondern auch durch die M.s angegriffen seht. „Die Strategie unserer Gegner wird sich daher künftig möglicherweise darauf konzentrieren, innere Widersprüche (der Linken) zu verschärfen.“ (Gen. Külow ebenda) Wieso läuft es mir bei einem solchen Zitat kalt den Rücken runter? Ist wirklich schon alles vergessen, was uns 89 innerhalb der SED bewegt hat? Sind wir schon wieder so weit, den Gegner primär in den eigenen Reihen zu suchen und uns „klassenkämpferisch“ mit ihm auseinanderzusetzen? Ihr haltet das für absurd? Ich habe mir die Mühe gemacht, diese mich im Zusammenhang mit dem Stadtforum bewegende Frage dem Stadtvorstand zu stellen. Zunächst schriftlich, und als ich über Monate darauf keine Reaktion erfuhr, habe ich dies auf der SV-Sitzung am 27.5. zur Sprache gebracht. Einen ausführlichen Bericht über diese Sitzung findet ihr auf den Seiten der AG Diskurs. Ich wurde klar belehrt „wir oder die“ (O-Ton!); die Auseinandersetzung sei nun – nach entsprechenden Anträgen der „Gegenseite“ vor der Schiedskommission – zunächst „nach allen Regeln der Kunst“ zu führen. Wie wir inzwischen gesehen haben, kulminierte diese Jagd auf anders Denkende, mit Rosa Luxemburgs Worten auf den Lippen, am 22.7. in einer „V-Mann-Affäre“, in der überregionale Seilschaften nach Arnsberg (die Quelle des Verdachts), Dresden und Berlin (zu TAZ und der „Berliner Zeitung“) mit den Spitzen unseres Stadtverbands wie geschmiert zusammenspielten. Der Landesvorstand hält sich mit Urteilen über das Offensichtliche (genau dokumentiert auf den Seiten der AG Diskurs) vornehm zurück.

Ich denke, es ist an der Zeit, sich der Gründe und Erwartungen zu erinnern, die Genoss/inn/en innerhalb der „staatstragenden Partei“ mit den 89er Veränderungen verbunden haben. Welche realsozialistischen Praktiken werden hier rehabilitiert, deren Bedeutung vor dem Hintergrund der DDR-Errungenschaften in eurer Erinnerung offensichtlich stark verblasst ist? Waren es aber nicht genau diese Praxen, die letztlich auch zum Verlust der Errungenschaften führten? Waren es nicht genau diese Praxen, die im Repertoire zukünftiger linker Politik keinen Platz mehr haben sollten? Wurde nicht seinerzeit Gregor Gysi symbolträchtig ein großer Besen übergeben, mit dem er alle neuen und alten Anzeichen solcher Praxen auskehren möge? In welcher Besenkammer der Linken verstaubt heute dieses Utensil?

Wo stehen wir also knapp 20 Jahre später? Für Genossin Hollick haben sich zum Ende des ersten Stadtforums „die Intriganten entlarvt“. Sie hat dafür viel Beifall erhalten. Mehrere Genoss/inn/en meinten mir gegenüber nach der Veranstaltung „Ihr kommt damit nicht durch“. Womit? Mit innerparteilicher Kritik am Erstarken von Zuständen, die vor 20 Jahren als „stalinistisch“ bezeichnet wurden? Was sollen die dauernden Aufrufe „wir müssen zur Sacharbeit zurückkehren“? Ist das nicht zugleich die Aufforderung, diese Art von Kritik – Gründungskonsens einer Nachwendepartei, wie ich ihn verstehe – doch bitteschön zu unterlassen? Und leisten Kritiker wie ich oder auch die Genoss/inn/en Meurer, Gröpler-Röser, Netzer, Petzold, Klug, Frost – die Liste ist lang und enthält viele mir aus anderen Arbeitszusammenhängen bestens bekannte Namen – jenseits ihrer Kritik keine Sacharbeit? Wieso waren zum zweiten Stadtforum, das sich den Versuch einer Analyse zum Ziel gesetzt hatte, die Kritiker/innen weitgehend unter sich? Wieso muss sich das Tagungspräsidium des Stadtforums schwerer Vorwürfe des „Handelns ohne Auftrag“ aus den Reihen der Mitgliedschaft erwehren?

Es scheint inzwischen zwei Sorten von aktiven Genoss/inn/en im Leipziger Stadtverband zu geben. Die einen können tun, was sie wollen – jede Kritik prallt von ihnen ab wie das Wasser von einem Lotus-Blatt, ohne ihr Image in „der Partei“ zu beschädigen. Die anderen können ebenfalls tun, was sie wollen, der Leumund des ewigen Kritikasters legt sich wie Mehltau auf die Wahrnahme aller ihrer Aktivitäten durch „die Partei“. Da hilft es auch nicht, wenn sie die eigenen Meriten vorzeigen – die sind immer zu klein, wenn es um die „Reinheit der Linie“ geht. Genoss/inn/en, lasst das Kritisieren der Linie und „kehrt zur Sacharbeit zurück“. Ausgrenzung und Marginalisierung dieser Kritik sind die Folge. Für die Kritiker/innen an den Führungspraxen im Leipziger Stadtverband trifft das in besonderem Maße zu, denn diese Kritik zielt ins Herz eines parlamentarisch dominierten Parteiverständnisses, an dessen Ende dann auch schon mal ein WOBA-Verkauf steht.

Ist dies wirklich, lieber Siegfried, fehlende Anerkennung von Autorität? Einer Autorität qua Amt? Du zitierst Engels: „Entweder wissen die Antiautoritarier nicht, was sie sagen, und in diesem Fall säen sie nur Konfusion.“ Wer maßt sich hier von außen ein Urteil an, was die „Antiautoritarier“ wirklich bewegt? Ist da nicht schon die „richtige Linie“ präsent, von der die „Konfusion säenden“ nicht nur selbst abweichen, sondern auch andere zum Abweichen drängen? Weiter heißt es, entweder „sie wissen es selber nicht“ oder sie „üben Verrat an der Bewegung des Proletariats“. Was solche „Verrätern“ (schon wieder) erwartet, kann am Beispiel des „Herrn M.“ studiert werden.

Hans-Gert Gräbe, 26.08.2008


Antistalinistischer Gründungskonsens am Ende? (Version 1)

Liebe Petra Blume, lieber Siegfried Heinrich!

Es ist – aus noch zu analysierenden Gründen – unter uns üblich geworden, gegenseitig vorab auf die respektable eigene DDR-Biographie hinzuweisen und auch die neuen Meriten als Genossin/Genosse nicht auszulassen. Ich will diesen Punkt, bezogen auf meine Person, nicht über Gebühr strapazieren, da es genügend Genoss/inn/en geben wird, die meinen Leumund bezeugen werden. Allein auf eine Tatsache will ich hinweisen: ich bin 1976 in eine Partei eingetreten und seither aus keiner ausgetreten. Ich weiß also, wovon ich im Folgenden schreibe.

Ich denke, auch der von euch harsch kritisierte Genosse Meurer wird auf eine solche respektable Biografie verweisen können, denn gar so jung ist auch er nicht mehr. Um dies zu beurteilen, habe ich mich im Gegensatz zu euch nicht aufs Hören-Sagen verlassen, sondern im letzten halben Jahr die Mühe gemacht, mir einen eigenen Eindruck über Prozesse im Stadtverband zu verschaffen, über die eine Reihe unserer führenden Genoss/inn/en klare Urteile haben und diese auch bei jeder Gelegenheit lautstark verkünden. Ich habe mich in die Vorbereitung der beiden Stadtforen eingebracht und bin federführend an der Gründung der AG Diskurs beteiligt, mit der „Chancen und Risiken linker Vielfalt“ – so in unserer Gründungserklärung nachzulesen – ausgelotet und kommuniziert werden sollen. Wir bemühen uns dabei um einen einigermaßen objektiven Blick auf die entsprechenden Prozesse im Stadtverband und versuchen vor allem, Akteure nicht so sehr an ihren – nicht nur im Falle des Genossen Meurer oft radikalen – Worten, sondern an ihren Taten zu messen.

Genosse Külow fordert in seinem Referat auf der SDK am 21.6. dazu auf, die 89er Ereignisse „(insbesondere ihre Frühphase) ... nach bis heute uneingelösten Erwartungen ... zu durchforsten.“ Euch scheint dabei mehr die angemessene Würdigung der eigenen DDR-Biografien umzutreiben, die ihr offensichtlich nicht nur durch die Birthlers und Knabes, sondern auch durch die Meurers angegriffen seht. „Die Strategie unserer Gegner wird sich daher künftig möglicherweise darauf konzentrieren, innere Widersprüche (der Linken) zu verschärfen.“ (Gen. Külow ebenda) Wieso läuft es mir bei einem solchen Zitat kalt den Rücken runter? Ist wirklich schon alles vergessen, was uns 89 innerhalb der SED bewegt hat? Sind wir schon wieder so weit, den Gegner primär in den eigenen linken Reihen zu suchen und uns „klassenkämpferisch“ mit ihm auseinanderzusetzen? Ihr haltet das für absurd? Ich habe diese mich im Zusammenhang mit dem Stadtforum bewegende Frage an jeden einzelnen Genossen und jede einzelne Genossin im Stadtvorstand gestellt. Zunächst schriftlich, und als ich über Monate darauf keine Reaktion erfahren habe, dies auf der SV-Sitzung am 27.5. in einem eigenen Tagesordnungspunkt zur Sprache gebracht. Einen ausführlichen Bericht über diese Sitzung findet ihr auf den Seiten der AG Diskurs. Ich wurde klar belehrt „wir oder die“ (O-Ton!); die Auseinandersetzung sei nun – nach entsprechenden Anträgen der „Gegenseite“ vor der Schiedskommission – zunächst „nach allen Regeln der Kunst“ zu führen. Inhaltliche Punkte meines Anliegens kamen nicht zur Sprache.

Ich denke, es ist an der Zeit, sich auch der Gründe und Erwartungen zu erinnern, die Genoss/inn/en innerhalb der „staatstragenden Partei“ mit den 89er Veränderungen verbunden haben. Ich möchte dies mit einer Aufzählung realsozialistischer Praktiken beginnen, deren Bedeutung vor dem Hintergrund der DDR-Errungenschaften in eurer Erinnerung offensichtlich stark verblasst sind. Waren es aber nicht genau diese Praxen, die letztlich auch zum Verlust der Errungenschaften führten? Waren es nicht genau diese Praxen, die im Repertoire zukünftiger linker Politik keinen Platz mehr haben sollten? Wurde nicht seinerzeit Gregor Gysi symbolträchtig ein großer Besen übergeben, mit dem er alle neuen und alten Anzeichen solcher Praxen auskehren möge? In welcher Besenkammer der Linken verstaubt heute dieses Utensil? Was waren das also noch mal für Praktiken? Ich zähle einige auf:

  • Definition einer „Linie der Partei“, an die sich alle Genoss/inn/en zu halten haben.
  • Die „Weisheit der Partei“ steht über der Lebensweisheit der einzelnen Genoss/inn/en. Im Konfliktfall gilt „Die Partei hat recht.“
  • Druck auf Menschen innerhalb und außerhalb der Partei, die dieser Linie nicht folgen.
  • Harte Auseinandersetzung, Ausgrenzung und Beschneidung sozialer Handlungsmöglichkeiten aktiv Widerständiger („feindlich-negativer Kräfte“).
  • Kampf um „Einheit und Reinheit“ der Reihen der Partei und Bekämpfung von Fraktionstätigkeit.
  • Brandmarkung von „Abweichungen“ als kleinbürgerlich rückständige Denkweisen.

Wo stehen wir nun knapp 20 Jahre später? Für Genossin Hollick haben sich – ahnungsschwanger schon in der Pause – zum Ende des ersten Stadtforums „die Intriganten entlarvt“. Sie hat dafür viel Beifall erhalten. Mehrere Genoss/inn/en, die mich seit meinem Austritt aus der RL Sachsen aus ebensolchen Gründen sonst nicht mehr kennen, meinten mir nach der Veranstaltung mitteilen zu müssen „Ihr kommt damit nicht durch“. Womit? Mit innerparteilicher Kritik am Erstarken von Zuständen, die vor 20 Jahren als „stalinistisch“ bezeichnet wurden? Was sollen die dauernden Aufrufe „wir müssen zur Sacharbeit zurückkehren“? Ist das nicht zugleich die Aufforderung, diese Art von Kritik – Gründungskonsens einer Nachwendepartei, wie ich ihn verstehe – doch bitteschön zu unterlassen? Und leisten Kritiker wie ich oder auch die Genoss/inn/en Meurer, Gröpler-Röser, Netzer, Petzold, Klug, Frost – die Liste ist lang und enthält viele mir aus anderen Arbeitszusammenhängen bestens bekannte Namen – jenseits ihrer Kritik keine Sacharbeit? Wieso waren zum zweiten Stadtforum, das sich den Versuch einer Analyse zum Ziel gesetzt hatte, die Kritiker/innen weitgehend unter sich? Wieso muss sich das Tagungspräsidium des Stadtforums schwerer Vorwürfe des „Handelns ohne Auftrag“ aus den Reihen der Mitgliedschaft erwehren? (Quelle: Stellungnahme des Tagungspräsidiums, April 2008)

Ja, liebe Petra Blume, du hast recht – was wäre das Bürgerbegehren ohne die engagierte Unterstützung einer Vielzahl von Genossinnen und Genossen. Aber zeugt es nicht von einer eigentümlichen Amnesie, wenn Genosse Külow sich rühmt „täglich und stündlich den Dialog mit der Bürgerinitiative ... gesucht und gepflegt zu haben“ und DIE LINKE „in dem ganzen Gezerre die einzige verlässliche Größe“ (Quelle: Referat des Genossen Külow auf der SDK am 21.6.) gewesen sei? Was ist mit den Grünen, den Gewerkschaften, dem Mieterbund? Wie war das genau im Januar 2008? Welche Rolle spielte damals die Vorstandsmannschaft um die Genossen Külow und Pellmann, die später gemeinsam mit Stadtrat Engelmann als Koautoren die bisher einzige innerlinke schriftliche „Auswertung“ („Ein fulminanter Sieg der Demokratie“) vorlegen, und welche Kastanien hat der inzwischen viel gescholtene Genosse Stange noch aus dem Feuer geholt? Welche Rolle haben die Erfahrungen des Bürgerbegehrens in der Veranstaltung mit Sahra Wagenknecht am 19.4. im Rathaus gespielt und warum hat sich weder Vorstand noch Stadtratsfraktion am bundesweiten Vernetzungstreffen der Bürgerinitiativen Anfang Mai in Leipzig beteiligt?

Dies sind weitere Fragen, die ich über viele Monate dem Stadtvorstand stelle, ohne je eine qualifizierte Antwort bekommen zu haben. Stattdessen wird im Kreis der OV-Vertreter ein Streit über den Zustand der Plakate vom Zaun gebrochen. Nun sind es auf einmal „die vom Bürgerbegehren“ und nicht mehr „wir, unser Bürgerbegehren“. Ausbeutung eines Siegs, bei der die Sieger vor der Türe stehen gelassen werden? So hatte ich den sich bereits damals abzeichnenden Umgang mit den Initiatoren des Bürgerbegehrens – ich gehöre dazu – in meiner Rede auf dem ersten Stadtforum charakterisiert und dafür eine offene Entrüstung von Genossen Michael-Alexander Lauter geerntet.

Alles geschieht in Anwesenheit eines an der Stelle schweigenden Vorsitzenden, von dem doch zu erwarten wäre, dass er scharf dazwischengeht. Bin ich wirklich der Einzige, dem dieses scheinbare Aus-der-Hand-Gleiten von Entwicklungen in einer Veranstaltung, die gerade eben noch klar strukturiert schien, als wohlfeile Form des Umgangs mit „feindlich-negativen Kräften“ in Erinnerung ist? Wieso heißt es auf meine entsprechende Kritik aus Reihen des Vorstands „Hallo Hans Gert, da kommt er wieder herausgekrabbelt, der kleine unwiderstehliche ewige Kleinbürger. So zeigst Du ihn gleich wieder bei Dir selbst“ (Genosse Schmidt auf 'leipziger-linke' am 31.5.) und weiter, dass der wirklich Schuldige der Plakatkontroverse der Genosse Stange sei, der die „Intrige absichtlich angezettelt habe, um das Verhältnis zwischen Linkspartei und Bürgerbegehrten zu belasten“ (ebenda)? Ich will euch keinen meiner Schlüsse aufdrängen und bitte euch allein darum, selbst genau hinzuschauen. Eine nicht gegenstandslose Bitte, wie mir eure Äußerungen im „Fall Meurer“ zeigen.

Ich denke, der Zustand der derzeitigen Führungsmannschaft der Leipziger Linken ist für jeden, der sehen will, offensichtlich. Die permanente Verhinderungstaktik gegen alles, was eingefahrene Machtstrukturen in irgendeiner Weise gefährden könnte, wird besonders in der Person des Pressesprechers Genosse Pellmann jr. deutlich. Die Liste seiner Versuche, sinnvolle partizipative Kommunikationsstrukturen zu torpedieren, ist lang. Ob dies nun die 14-Tage-Vergessfunktion des inzwischen komplett abgeschalteten Internetforums des Stadtverbands ist, sein permanentes Ignorieren von konstruktiven Vorschlägen aus den Reihen der AG Diskurs, die Einrichtung von zentral verwalteten E-Mail-Verteilern für OV-Strukturen, ohne mit den Betroffenen überhaupt Rücksprache zu halten, oder die Maulkörbe auf Debatten zu Verlautbarungen, die mit „Pressesprecher“ unterzeichnet sind. Entsprechende Anfragen und Anträge an den Vorstand bleiben unbeantwortet. Eines allein habe ich vom Pressesprecher bisher noch nicht gesehen – eine offizielle Pressemitteilung des Stadtverbands. Denn diese sind in der Regel von Dr. Volker Külow unterzeichnet (und wohl auch verfasst). Dass dieses Verhalten Gegenstand einer – auf Antrag des Kritisierten (!) geschlossenen (!) – Vorstandssitzung war, auf der dann genau die von dir, liebe Petra, geschätzte Genossin Jennicke das Hohelied auf die Vorzüge des Gen. Pellman jr. anstimmt und letzterem Absolution erteilt wird, ist da nur ein weiterer müder Strich. Das Sondervotum des Genossen Pellmann jr. zur Finanzierung eures Kinderfests auf der SV-Beratung am 27.5. dürfte dir bekannt sein. Wenn nicht, dann lass es dir von Genossen Eiltzer erzählen.

Es scheint also inzwischen zwei Sorten von aktiven Genoss/inn/en im Leipziger Stadtverband zu geben. Die einen können tun, was sie wollen – jede Kritik prallt von ihnen ab wie das Wasser von einem Lotus-Blatt, ohne ihr Image in „der Partei“ zu beschädigen. Die anderen können ebenfalls tun, was sie wollen, der Leumund des ewigen Kritikasters legt sich wie Mehltau auf die Wahrnahme aller ihrer Aktivitäten durch „die Partei“. Da hilft es auch nicht, wenn sie die eigenen Meriten vorzeigen – die sind immer zu klein, wenn es um die „Reinheit der Linie“ geht. Ihnen wird vorgehalten: Genoss/inn/en, lasst das Kritisieren der Linie und kehrt zur Sacharbeit zurück. Ausgrenzung und Marginalisierung dieser Kritik sind die Folge. Für die Kritiker/innen an den Führungspraxen im Leipziger Stadtverband trifft das in besonderem Maße zu, denn diese Kritik zielt ins Herz eines auch in Leipzig offensichtlich wohlfeilen parlamentarisch dominierten Parteiverständnisses, an dessen Ende dann auch schon mal ein WOBA-Verkauf steht.

Ist dies wirklich, lieber Siegfried, fehlende Anerkennung von Autorität? Einer Autorität qua Amt? Du zitierst Engels: „Entweder wissen die Antiautoritarier nicht, was sie sagen, und in diesem Fall säen sie nur Konfusion.“ Wieso maßt sich Engels hier von außen ein Urteil an, was die „Antiautoritarier“ wirklich bewegt? Ist da nicht schon die „richtige Linie“ präsent, von der die „Konfusion säenden“ nicht nur selbst abweichen, sondern auch andere zum Abweichen drängen? Weiter heißt es, entweder „sie wissen es selber nicht“ oder sie „üben Verrat an der Bewegung des Proletariats“. Da ich unterstelle, dass Genosse Meurer nicht zu ersterer Sorte gehört – was empfiehlst du für einen Umgang mit derartigen „Verrätern“?

Ich habe diese Entwicklungen einmal mit denen des Politbüros zum Ende der DDR-Zeit verglichen. Natürlich führten diese Fehlentwicklungen einer staatstragenden Partei, die in den 89er Ereignissen kulminierten, nicht nur zu einer Marginalisierung dieser Partei, sondern hatten einschneidende Konsequenzen für den Alltag der Menschen im Osten insgesamt. Sie sind deshalb nicht wirklich mit heute zu vergleichen. Die phänomenologischen Parallelen sind gleichwohl augenscheinlich. Es ergibt sich für mich die Frage, ob sie zu denselben Konsequenzen führen werden. Wo also steht die Leipziger Linkspartei in ein paar Jahren, wenn die hohen Erwartungen, die Bürger mit dieser Partei verbinden, in den Mühlen derartiger innerlinker Grabenkämpfe zermahlen sind? Wird sie dann ein weiteres Mal – wie nach 89 – in einer langen Bedeutungslosigkeit verschwinden, nur weil sie den antistalinistischen Gründungskonsens nicht bewahren und linker Vielfalt mit all ihren Chancen und Risiken Raum geben konnte? Ein Blick nach Italien und Frankreich, aber auch nach Dresden zeigt, dass diese Gefahr nicht von der Hand zu weisen ist.

Hans-Gert Gräbe, 23.07.2008