Attac.DenkTankStelle.2017-11-13

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DenkTankStelle von Attac-Leipzig

Thema: Kultur macht Menschen (noch einmal)
Ort und Zeit: Montag, 13. November 2017, 19 Uhr im Café Grundmann

Ankündigung

Liebe Freundinnen und Freunde,

nach der munteren Diskussion vom letzten Mal zum Thema: >Kultur macht Menschen<, und weil wir kein Ende fanden, wurde eine Fortsetzung im November vereinbart.

Johannes, 13.10.2017

Anmerkungen

Hier ein Beitrag zum angezielten Kulturwandel. Er kommt erst auf Wirtschaftliches zu sprechen (Kann überlesen werden – Achtung, versteckte Kritik!), aber dann auf “Neusprech” – wahrscheinlich in Denkfabriken ausgedacht und dann “empfohlen”:

Es ist eine seriöse Seite, wie schnell erkennbar.

Jürgen, 14.10.2017


Zum Thema „Kultureller Wandel“ ein paar Sätze als Diskussionsgrundlage.

Wenn wir „Kultur“ im engeren Sinn verstehen als „... ein System von Regeln und Gewohnheiten, die das Zusammenleben und Verhalten der Menschen leiten", sind wir seit drei Jahrzehnten Beteiligte eines tiefgreifenden kulturellen Wandels, der primär induzierter, teilweise aber auch endogener Wandel ist (s. meine Email vom 9.10., Punkt 7. Arten des Kulturwandels).

Wir hatten festgestellt, dass induzierter Wandel vor allem durch die Globalisierung stattfindet. Die Wahlerfolge der AfD und anderer rechtspopulistischer Parteien in EU-Ländern weisen darauf hin, dass dabei neben politisch-ideologischen und sozial-ökonomischen Ursachen wesentlich kulturelle Fragen eine Rolle spielten (s. Wolfgang Thierse im Tagesspiegel vom 7.11.17). Ein paar Kernsätze seines Beitrags:

  • Eine Angst der AfD-Wähler war: Verlust der deutschen Sprache und Kultur. Das sollte man ernst nehmen.
  • Es gibt eine zwiespältige Gefühlslage im Land: Leben in Frieden in einer unfriedlichen Welt
  • Deutschland wird sich verändern, und Veränderungsdynamiken sind keine Idylle
  • Wir haben es mit Herausforderungen ganz wesentlich kultureller Natur zu tun
  • Die Linke sollte aufhören, kulturelle Identitätsfragen arrogant abzuwehren
  • Gerade in Umbruchzeiten ist Identität besonders wichtig. Und damit sind wir bei Kultur
  • Kultur ist auch Raum der Emotion, des Weltanschaulichen, von Lebensstil und Einstellungen
  • Kulturelle Identität sei ein Mythos, man betreibe „Kulturalisierung“ von Problemen. Aber das ist falsch

Hauke Ritz hat in einem Beitrag vom 22.10.17 auf russlandkontrovers.de unsere Thematik im Kontext des Kulturrelativismus der Postmoderne erörtert. Er sieht – vorangetrieben durch China und Russland – in Zentralasien einen Integrationsprozess stattfinden, an dem weder die USA noch die EU beteiligt sind. Er betrachtet das als den Anbruch einer multipolaren Weltordnung.

Es sei zu erwarten, dass insbesondere die aufsteigenden Großmächte auf dem eurasischen Kontinent, allen voran China, Russland, Indien und Iran, jeweils spezifische Interpretationen der Moderne und damit auch unterschiedliche Zivilisationsmodelle entwickeln werden.

Diese Entwicklung stelle die Europäische Union vor ein schwerwiegendes Problem, weil sie ihre Kulturpolitik in den letzten drei Jahrzehnten auf das Ziel einer unipolaren Weltordnung ausgerichtet habe. An die Stelle der klassischen europäischen Kultur seien deshalb immer mehr die Werte der Postmoderne getreten, d.h. ahistorische Werte mit kosmopolitischer, kulturrelativistischer Orientierung, die marktkonform sind und der EU als zukünftigem Zentrum einer unipolaren Weltordnung gerecht werden sollten.

In einer multipolaren Weltordnung gebe es weder ein ökonomisches noch ein militärisches und erst recht kein kulturelles Zentrum. Größere Staaten wie China, Russland, Indien und Iran wendeten sich wieder verstärkt ihrer jeweils eigenen Geistes- und Kulturgeschichte zu.Die EU könne an diesem »Konzert der Zivilisationen« nur teilnehmen, wenn sie sich künftig auch zu ihrer eigenen Überlieferungsgeschichte bekennt. Dies verlange einen Abschied vom Kulturrelativismus der Postmoderne.

Begriffsklärung: Postmoderner Kulturrelativismus

Der Kulturrelativismus ist eine Position, der zufolge Werte und Normen nur vor dem Hintergrund des jeweiligen kulturellen Kontextes gelten. Da es unterschiedliche Kulturen gibt, gibt es auch unterschiedliche kulturelle Kontexte mit jeweils anderen Bestimmungen dessen, was wahr, gut, gerecht, vernünftig oder schön ist. Werte und Normen sind daher relativ zu der jeweiligen Kultur bzw. dem jeweiligen kulturellen Kontext.

Für den Kulturrelativisten gibt es demnach keine universellen, d.h. für alle Menschen geltenden Werte und Normen. Auch Menschenrechte können nicht universell sein. Für einige Kulturrelativisten sind sie ein Produkt der westlichen Kultur und können Geltung nur innerhalb dieser Kultur beanspruchen.

Darüber hinaus behaupten einige Kulturrelativisten, dass Kulturen und die mit ihnen jeweils einhergehenden Überzeugungen, Werte und Normen nicht nur unterschiedlich und spezifisch, sondern auch gleichwertig sind. Anders formuliert: Man kann nicht behaupten, dass eine Kultur „besser“ ist als eine andere, dass Werte und Normen, die in einer Kultur herrschen, „besser“ sind als Werte und Normen, die eine andere Kultur dominieren. Das bedeutet, dass Repräsentanten einer Kultur den Wertekanon anderer Kulturen nicht in Frage stellen sollten.

Antipode des Kulturrelativismus ist der Universalismus (s. Kulturrelativismus vs. Universalismus. Oder: Warum der Kontext immer eine Rolle spielt).

Beim Universalismus handelt es sich um eine ethische Betrachtung. Ein ethisches Prinzip wird zu einem Universalismus, einem Ordnungsgesetz erhoben. Die Moralphilosophien von Platon, Aristoteles, Hegel oder Kant oder die Menschenrechtspositionen gehen davon aus, dass es nur eine gültige Ethik gibt, die für alle Menschen in allen Situationen gilt.

Der Kulturrelativismus hingegen versucht die Einstufung aller anderen Kulturen im Hinblick auf die eigene Weltanschauung zu vermeiden: Jedes Moralprinzip ist nur innerhalb einer bestimmten Kultur gültig. Deshalb gilt er in den Augen von Verfechtern der allgemeinen Menschenrechte als verpönt: KulturrelativistInnen sind in deren Augen Menschen, die den Verstoß gegen Menschenrechte als entschuldbar betrachten.

Aber: Das Prinzip der Enkulturation (Sozialisationsprozess) weist in den kulturrelativistischen Positionen darauf hin, dass Moralprinzipien wie zum Beispiel die Menschenrechte nicht einfach da sind und schon immer da waren, sondern sie wurden erst erworben. Der Universalismus hingegen geht davon aus, dass die Menschenrechte (oder andere Moralprinzipien) aus dem abgeleitet werden, „wie jeder Mensch im inneren Kern ist“ (naturalistische Argumentation).

Eine Kompromissposition strebt deshalb eine Kombination von kulturrelativistischen und universalistischen Prinzipien an, zum Beispiel der „schwache“ Kulturrelativismus, dem an kulturspezifischen Formen und Interpretationen von Menschenrechten gelegen ist. Dem entspricht u.a. das Vorgehen bei Entwicklungszusammenarbeits-Projekten, für ein erkanntes Problem Möglichkeiten zur Vermittlung zu finden, die von den Menschen auch angenommen werden.

Andreas, 12.11.2017


Lieber Andreas und die anderen,

viel Holz für unseren kleinen Ofen und die zwei Stunden, die wir uns daran erwärmen wollen. Dicken Dank dafür. Wenn wir uns bald darauf einigen könnten, dass wir der in den Texten zu findenden These von einer zukünftigen multipolaren Welt mit eigenen politischen, wirtschaftlichen, kulturellen Zentren zustimmen können, ginge es eigentlich darum, wie diese Teile zusammenarbeiten sollten. Müssen wir deshalb eine europäische kulturelle Identität stärken? Und wenn, auf welcher Basis? Oder auf globalisierenden Ausgleich von Werten drängen? Und wenn, welche Basis taugt dazu? Interessant ist auch, dass diese Diskussion z.Zt. gerade in der Linken Führungsspitze heftig diskutiert wird.

Vielleicht müssen wir uns auf einige Stolpersteine auf dem Weg konzentrieren, die auch in den alltäglichen Diskussionen eine Rolle spielen: z.B. Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Heimat und Nationalität, universelle Menschenrechte der UNO, um einige zu nennen.

Johannes, 12.11.2017