Attac.DenkTankStelle.2014-10-06
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DenkTankStelle von Attac-Leipzig
- Thema: Über die Erkennbarkeit der Welt
- Ort und Zeit: Mo, 06. Oktober 2014, 19 Uhr im Café Grundmann
Ankündigung
Da letztens einige Interessierte leider nicht konnten, steht die Sache mit der Erkennbarkeit der Welt noch einmal zur Diskussion und Disposition. Prof. Gräbe, den wir gern für einen Einstieg gewonnen hätten, kann leider nicht, macht uns aber zusätzlich einen interessanten Vorschlag, den ich gern weiterreiche. Und bitte gleichzeitig jemand aus unserem Kreis, den Einstieg zu übernehmen. Freiwillige vor! Er oder sie dürfte ruhig ein paar knappe Thesen von seiner oder ihrer Meinung rumschicken. Einiges liegt ja schon als Meinungsäußerung vor.
Mit besten Grüßen
Johannes S.
Anmerkungen
Ich werde am 6.10. nicht kommen. Warum? Weil der Lauf der Welt, mein Leben und das meiner Familie in den nächsten 30 Jahren vermutlich nicht von der Frage abhängen werden, ob die Welt erkennbar ist oder nicht.
Wenn es wahr ist, dass wir in Umbruchszeiten leben, müssten jetzt eigentlich genügend, auch tiefer gehende Fragen anstehen, die es wert wären, durchdacht und diskutiert zu werden – weil sie unser Leben wenigstens indirekt betreffen könnten. Lassen diese sich vielleicht nicht zu 100 Prozent klären, so könnte schon ihre Sensibilisierung für uns nützlich sein – denke ich. [...]
Jürgen, 04.10.2014
Liebe Mitstreiter,
ich sehe zwischen den „großen“ philosophischen Themen und der Tagespolitik überhaupt keinen Widerspruch, ganz im Gegenteil. Wenn man z.B. über die Erkennbarkeit der Welt diskutiert, diskutiert man natürlich über die Frage, ob die Welt, d.h. auch die Geschichte der Menschheit, nach Gesetzmäßigkeiten verläuft. Bleibt man geistig im bürgerlich – reaktionären Lager, leugnet man natürlich jeden Fortschritt, der über die Erhaltung des Geldsystems bis in alle Ewigkeit hinausgeht. Dann erscheint jede echte Opposition als reaktionärer und gemeingefährlicher Terrorismus, der an den Festen der alten Ordnung rüttelt. Dann hat man auch solche „freien“ Chaostheorien, nach denen die Geschichte für alles und jedes „offen“ ist, nur nicht für den Sturz des bisherigen Systems.
Nicht ohne Grund ist deshalb die Erkenntnistheorie seit der Antike das Herzstück jeder Philosophie und die Entwicklung der Wissenschaften als Beweis für die Erkennbarkeit der Welt die rote Argumentationslinie gegen jede Form von Anarchie, Versteinerung und Dogmatisierung des Alten und damit insbesondere gegen jede Form der Religion und des Gottglaubens. Die alten Griechen wussten, dass jeder, der die Fähigkeiten des Menschen zur Logik und damit zugleich auch die Logik der kosmischen Ereignisse leugnet, unrettbar im Chaos der Hilflosigkeit und der Angst vor den Göttern versinkt.
Und jeder, der heute die Gesetzmäßigkeit gesellschaftlicher Entwicklungen leugnet oder in der vermeintlich entarteten Geschichte z.B. des 2. Weltkriegs nur „Fehler“ sieht, der leugnet eben die Logik des Fortschritts, die in allem steckt. Auch in den bösen Unglücken der Gegenwart steckt eine historische Logik, die es zu erkennen gilt. Die Menschheit ist auf einem Erkenntnis- und Erziehungspfad zu kommunistischer Moral, einer Welt der Versöhnung und Solidarität, die auf Toleranz und Anerkennung der Individualität und Lebensberechtigung aller Kreaturen zielt. Das Herrenmenschentum des Westens, das sich auch auf die Auserwähltheit des Christentums und die vermeintliche technologisch-wissenschaftliche Überlegenheit stützt, wird jetzt auf allen Gebieten an den Pranger gestellt. Das Geldsystem, das den Egoismus belohnt und die Uneigennützigkeit und Selbstzurücknahme bestraft, wird systematisch moralisch enttarnt und politisch und ökonomisch zerstört. Habsucht und Machtgier, die sich kurzfristig lohnen mögen, werden nun langfristig durch den Zerfall aller Strukturen abgestraft.
Z.B. „erzieht“ eben die Ausbeutung der deutschen Kulis zum Nutzen der großen Wirtschaftseliten die junge Generation, die nur noch als Packer oder Callcenteragent Armutsgeld verdienen kann, u.a. zur Sparsamkeit, zur Solidarität und zur Innenschau, der Besinnung auf die eigene Individualität und eigene, selbst formulierte Lebensziele. Sie folgen nicht mehr den vorgegebenen Primitivkarriere-schubladen, sondern zunehmend ihrem eigenen Lebenssinn - eine eminent wichtige Voraussetzung für eine mündige Motivationssteuerung jenseits von Habsucht, Machtgier und damit Fremdbestimmung. Die heutigen Flüchtlingsströme erziehen auch steinzeitlich dogmatische Menschen in rasender Geschwindigkeit zu modernen toleranten Weltbürgern, die die erlebte Solidarität und den Wohlstand in ihre Weltgegenden tragen werden. So hat selbst das schrecklichste Böse einen fortschrittlichen Sinn. Die höhere weltgeschichtliche Logik ist in allem mit dem Fortschritt zum Guten! Man muss sie nur erkennen (wollen). So gibt es m.E. unendlich viel Stoff, um das Alltägliche als Ausdruck des „Weltgeistes“ in der DTS zu diskutieren.
Mit philosophischen Grüßen
Kornelia, 09.10.2014
[...] Aber es gibt Zeiten, meinte Herr Brecht, da sei sogar ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen, weil es das Verschweigen über so viele Untaten einschließt, und das meinte wahrscheinlich Jürgen mit seinen Einwänden.
Ich beneide Dich um Deine Gewissheiten, so wie ich religiöse Menschen um deren Sicherheiten beneide. Sie singen: "Eine feste Burg ist unser Gott, eine gute Wehr und Waffen ..." oder so ähnlich. Dein Lied handelt von einer anderen Burg, einer zwar arg zersausten, aber immerhin noch mit einem Bergfried ausgestatteten, wo sich ein "Fähnlein der 7 Aufrechten" pflanzen lässt. (Diese Geschichte geht übrigens gut aus!)
Über das, was Du schreibst, ließe sich trefflich streiten. "Logik des Fortschritts, Gesetzmäßigkeit gesellschaftlicher Entwicklungen, höhere weltgeschichtliche Logik, Logik der kosmischen Ereignisse, Fähigkeiten des Menschen zur Logik." Mir ist das ein wenig zu viel des Logischen.
Meine Burg wurde im 16. Jahrhundert von einem Herrn Montaigne gebaut. Und in der alten Bibliothek dort findet sich in die Balken geschnitzt, rußgeschwärzt: "Alles ist unregelmäßige Bewegung ohne Richtung und Ziel". Und mir erscheint das verdammt logisch zu sein! [...]
Hannes, 09.10.2014
Lieber Hannes,
wem nicht zu raten ist, dem ist nicht zu helfen. Und wer die Logik bzw. das Denken nicht liebt, der sollte sein Chaos nicht bejammern. Schwarz-weiße Wahrheiten gibt es eben nicht. Und wer im Bösen nicht das Gute sucht, wird auch nichts Gutes finden und alle Hoffnung verlieren. Es ist dem Menschen frei gestellt, sein Gehirn zu benutzen oder es zu lassen, für das Gute zu wirken oder es zu lassen. Was ist denn daran logisch, dass jede Bewegung ohne Richtung und Ziel sei? Wer so einen Quatsch verbreitet, der zeigt doch nur, dass er von allem nichts versteht. Zum Glück ist der Durchschnittsmensch seit Jahrtausenden so gestrickt, dass er wenigstens von seinem Beruf etwas versteht, denn sonst würden wir noch immer mit Lendenschurz durch die Savanne rennen. Was die Chaosphilosophen reden, ging deshalb dem „kleinen Mann“ seit Jahrhunderten völlig am A… vorbei. Und recht hat der gesunde Menschenverstand, der immer und überall darauf baut, dass er mit dem gerade Aktuellen erfolgreich fertig werden kann.
Kornelia, 09.10.2014
Gern gelesen, liebe Kornelia. Aber mit herrschaftsfreihem Diskurs und Disput-Ethik nach Habermas nicht so recht kompatibel. Oder? Macht aber nix.
Ode an den kleinen Mann und den gesunden Menschenverstand
(Mit Nachsicht zu lesen, da gerade spontan und hintereinander weg verzapft)
Der kleine Mann mit gesundem Verstand,
die Nazis gar nicht so übel fand.
Und als diese ihn dann nach Russland gesandt,
er tapfer dort an dem Wolgastrand,
als Held für das deutsche Vaterland,
seinen Dienst am Volke verlässlich stand.
Und der kleine Mann auch ganz anderswo,
tickt kein bisschen anders als ebenso.
Doch da es leider nix anderes gibt,
wird der kleine Mann auch von mir geliebt.
Unlogisch und logisch, das fucking Luder,
bin ich ja, mein Vater, mein Sohn und mein Bruder.
Und Schwester und Mutter und Nachbar zugleich.
Wir kämpfen weiter, das Himmelreich,
von dem uns schon Heinrich Heine gesungen,
ist auf Erden bisher uns gründlich misslungen.
Trotz Allem was ist, und wenig gescheiter,
wir mühen uns weiter, gelassen und heiter. [...]
Hannes, 09.10.2014
Haben wir nicht heute auch genügend Helden, vor allem unter den kleinen Männern und Frauen, gerade heute besonders groß? Die Disputethik von Habermas interessiert mich nicht, denn ich halte es mit der Dialektik nach Hegel und Marx.
Und wie gesagt, auch in der Heldenpose des kleinen Mannes, der immer nach seinem kurzfristigen Vorteil agiert und deshalb langfristig in die Grube fällt, die er sich selber gegraben hat, liegt die große Weltlogik, dass man zumindest, wenn alle anderen Stricke reißen sollten, aus seiner Dummheit etwas lernen konnte. Der Teufel ist sowieso nur dafür da, als abschreckendes Beispiel zum Guten zu belehren. Und das „freie“ Himmelreich, das wir heute besingen, ist doch 100 Mal schöner als das von Heine und 50 Mal schöner als das der DDR. Das wirst doch auch Du, lieber Hannes, nicht bestreiten wollen, oder?
Kornelia, 09.10.2014
Lieber Hannes,
ich beneide dich nicht um deine Gewissheit, Kornelias Anmerkungen als "Gewissheit" in einer deiner Schubladen richtig verstaut zu haben.
Ich habe einigen Respekt vor Kornelia (spätestens seit unserem gemeinsamen Termin in der "Gshelka" vor vielen Jahren), das, was du als "Gewissheiten" bezeichnest, für sich selbst in eine Form von "Lebenskunst" (ein philosophisch sehr aufgeladener Terminus, füge ich sicherheitshalber hinzu) transformiert zu haben. Da ich im eigenen Hause jeden Tag mit einer ähnlichen Frage konfrontiert bin, weiß ich das vielleicht besser zu würdigen als du.
Hans-Gert, 11.10.2014