APRIL.2008-01-23
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Einige Argumente beim Bürgerentscheid mit JA zu stimmen
Erklärung der Initiatoren des Bürgerbegehrens
1. Zur demokratischen Selbstverwaltung und Steuerung der städtischen Entwicklung benötigt man Instrumente - dies sind insbesondere im wirtschaftsschwachen Ostdeutschland die kommunalen Unternehmen. Arbeitsplatzsicherung, Ausbildungs- und regionale Wirtschaftsförderung, Beiträge zum Stadtumbau, Berücksichtigung sozialer Belange, Gemeinwohlorientierung und gesellschaftliches Engagement sind hier nur einige Stichworte.
2. Der Präsident des Bundeskartellamtes bezeichnet die unabhängigen Stadtwerke ganz aktuell als wesentliches Element, um der erdrückenden und preistreibenden Marktmacht der großen Stromkonzerne überhaupt noch etwas entgegenzusetzen. Stadtwerke sind zudem die Vorreiter einer umweltgerechteren Energieerzeugung in dezentraleren, zumeist Strom und Wärme gemeinsam produzierenden Anlagen. Eine Energieversorgung, die den nötigen Schritt zu mehr erneuerbaren Energien und zu weniger fossilen und Atom-Brennstoffen gehen will, braucht kleinteilige Eigentumsstrukturen und demokratische Einflussnahme, statt großer privater Monopole.
3. Leipzig hat seit der Wende zweifach Erfahrungen mit der Privatisierung von Minderheitsanteilen der Stadtwerke gemacht – und sie zweimal zurückgekauft. Weil der jeweilige „strategische Partner“, entgegen seinen Beteuerungen und vorhandenen vertraglichen Regelungen, nur sein strategisches Interesse, aber nicht das der Stadtwerke und der Bürgerinnen und Bürger der Stadt Leipzig betrieben hat. Schon allein angesichts der extrem unterschiedlichen Größenverhältnisse von Gaz de France / Suez und den Stadtwerken Leipzig, besteht auch jetzt wieder die Gefahr, dass die Stadtwerke dauerhaft nur die Rolle eines Beibootes (unter vielen) im großen Beteiligungsbesitz des französischen Konzerns spielen werden. Mit einem Mega-Konzern, der sich damit brüstet, jährlich 10 Milliarden Euro als „Spielgeld“ für Investitionen zur Verfügung zu haben, kann es keine Partnerschaft unter Gleichen geben. Der Kurs wird dann im großen Paris und nicht mehr in Klein-Paris bestimmt.
4. Die kommunalen Unternehmen spielen auch eine wichtige Rolle für die regionale Wirtschaft. Viele kleine und mittelständische Unternehmen sind von ihren Aufträgen abhängig. Sie sichern Arbeitsplätze und Wertschöpfung und damit auch Steuereinnahmen. Dass ein großer Konzern - wie es Gaz de France / Suez ist – hier andere Wege beschreiten wird als die der Förderung der regionalen Wirtschaft, hat eine Reihe von Beispielen aus anderen Städten bewiesen.
5. In Leipzig haben nur ganz wenige große Unternehmen ihren Hauptsitz. Eines davon ist die Verbundnetz Gas AG (VNG), an der auch die Stadt Leipzig zusammen mit weiteren ostdeutschen Kommunen beteiligt ist und welche ihre jährlichen Gewerbesteuern hier an die Stadt abführt. Die möglichen Auswirkungen eines Anteilsverkaufs der Stadtwerke ausgerechnet an einen großen Konkurrenten der VNG, sind überhaupt nicht betrachtet. So kann man z.B. schlechterdings in den Aufsichtsgremien der VNG agieren, wenn man der VNG gleichzeitig mit Gas de France Konkurrenz macht.
6. Die Effizienz eines Unternehmens hängt nicht davon ab, ob sein Eigentümer die öffentliche Hand oder Private sind. Die Qualität eines Unternehmens beruht auf der Qualität von Management und Belegschaft. Es gibt genauso viele Beispiele sehr effektiver Unternehmen in öffentlicher Hand, wie es Beispiele schlechten Wirtschaftens privater Unternehmen gibt – im schlimmsten Fall auch die Beispiele bewussten, milliardenschweren Betrugs am Verbraucher wie im Falle des vor wenigen Jahren die USA erschütternden Konkurses des Energiekonzerns Enron. Die Mitarbeiter der kommunalen Unternehmen der Stadt machen nicht nur „einen Job“. Sie fühlen sich in der Qualität ihrer Arbeit auch ihrer Stadt verbunden und verpflichtet. Weil sie wissen, dass das Ergebnis ihrer eigenen Stadt und Region, uns allen zusammen zugute kommt.
7. Die Schieflage des Kommunalhaushalts ist kein Leipziger Besonderheit. Leipzig teilt diese "Krankheit" mit vielen anderen Kommunen in Deutschland, so dass es an der Zeit ist, die Epidemie einzudämmen statt an Symptomen herumzudoktern. Vermögensverkäufe verstellen den Blick auf die Ursachen dieser Misere. Städtische Schulden, die aus einer dauerhaften strukturellen Unterfinanzierung der Kommunen durch den Bund und das Land entstehen, können nicht durch den Verkauf von Eigentum der Stadt ausgeglichen werden. Denn die Schulden wachsen jedes Jahr nach, das Eigentum aber nicht. Leipzig war 1998, zum letzten Anteilsverkauf an den Stadtwerken, mit 740 Mio. € verschuldet, 1999 nur ein Jahr danach, mit 811 Mio. und 2004 mit 912 Mio. €. Der Eigentumsverkauf hat nichts geändert – die Kommunalfinanzierung des Bundes muss sich ändern!
8. Steigende Energiepreise weisen auf Marktversagen hin. 100% kommunale Stadtwerke können Gewinne an die Bürger weitergeben (die KWL hat es jüngst vorgemacht) oder – wie bei uns praktiziert – den Nahverkehr stützen. Warum sollte das ein Privater tun? Nicht die Höhe der Preise, sondern die Steigerungsraten bestimmen die Dynamik auf dem Energiemarkt. Die liegen bei den Stadtwerken - besonders beim Flaggschiff "Bestpreis" - deutlich unter dem bundesdeutschen Durchschnitt. Der Run auf den neuen "Bestpreis Strom" hat gezeigt, dass die Leipziger Bürger in der Mehrheit nicht so blöd sind, wie es manche Politiker gern hätten.
9. Die Stadt wird durch die 520 Mill. Euro nicht reicher, so wie es der Schuldner nicht wird, der die vom Opa geerbte goldene Uhr verkauft, um seine Schulden zu tilgen. Es ist eine Umwandlung von Anlage- in Barvermögen, das letztlich "verfrühstückt" wird bzw. mit der Schuldenaufnahme bereits verfrühstückt worden ist.
10. Im Energiemonopoly der Zukunft sind Stadtwerke in der Hand der Bürger der beste Faustpfand, um mit den großen Energiekonzernen über die Energielieferbedingungen zu verhandeln. Was starke Gewerkschaften für Arbeitnehmer sind, das sind starke kommunale Stadtwerke für die regionale Energieversorgung.
Wie soll es mit Leipzig finanziell weitergehen, wenn der Bürgerentscheid durchkommt?
Als Erstes brauchen die Bürgerinnen und Bürger Klarheit - ein Kassensturz muss her. Welche laufenden Belastungen kommen auf die Stadt durch den City-Tunnel zu, was folgt aus dem Desaster der Staatsregierung mit der SachsenLB? Wir erwarten nach einem erfolgreichen Bürgerentscheid, dass der Stadtrat unabhängig von parteilichen Befindlichkeiten zusammen mit der engagierten Bürgerschaft gemeinsame Lösungen entwickelt. Ein guter Ansatz dafür wären beispielsweise öffentliche Bürgerforen. Nur gemeinsam können nachhaltige Konzepte entwickelt werden. Beispielsweise ist es blanker Unsinn und Polemik, wenn die FDP versucht, den Stadtwerkeverkauf mit den notwendigen Schulsanierungen zu rechtfertigen. Dieser würde – wenn überhaupt – höchstens kurzfristige Einnahmen bringen. Investitionen in die Bildung wie Schulen und Kitas brauchen aber Planungssicherheit, dass heißt auch und gerade mittel- und langfristige Konzepte. Ein solches Konzept könnte beispielsweise so aussehen, dass Teile der jährlichen Gewinne die unsere Unternehmen erwirtschaften für die Sanierung von Kitas und Schulen bereitgestellt würden. Deshalb brauchen wir auch künftig ertragsstarke kommunale Unternehmen.
Es ist unstrittig, dass die finanzielle Krise in der sich die Städte befinden, durch die vielen zusätzlichen Aufgaben die den Kommunen ohne finanzielle Gegenleistung des Gesetzgeber aufgebürdet wurden resultiert. Deshalb muss gemeinsam mit Vertretern anderer Städte, die genau vor dem gleichen Problem stehen, darauf hingearbeitet werden, dass die Finanzausstattung der Kommunen entsprechend ihren Aufgaben angepasst wird. Wir sind überzeugt, dass Stadträte und engagierte Bürgerinnen und Bürger hier auch bundesweit ihre Stimme geltend machen und ein Plädoyer für starke und handlungsfähige Kommunen abgeben müssen.
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