WAK.2006-12-14

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Wenn das System herunterfährt... Computer und Internet aus ökologischer Sicht
mit Alexander Heidenreich (Dresden)
Veranstaltung von linXXnet Leipzig, in Kooperation mit der Ökologischen Plattform
14. Dezember 2006, 19:00 Uhr im Leipziger Polit-Kultur-Büro linXXnet, Bornaische Str. 3d


Ankündigung

Die ökologischen Konsequenzen der bejubelten Computerisierung werden wenig beachtet. In dem Maße wie Internetshopping und Hardware-Innovationen begeistern, scheint das gesellschaftliche Bewusstsein für die anfassbare Umwelt abzunehmen.

Computer verbrauchen Strom, der Stromverbrauch bei modernen Geräten ist - anders als bei anderen Technologien - meist höher als bei Vorgängergenerationen. Inzwischen verbraucht ein normaler Computer schnell mal die gleiche Leistung wie eine Herdplatte, was besonders kritisch ist, da Computer über Stunden laufen, in einigen Anwendungsbereichen sogar rund um die Uhr. Die Schadstoffe, die in Computern enthalten sind oder bei der Produktion entstehen, sind bedenklich, ebenso der Trend, Computer nach relativ kurzer Zeit gegen die einer neuen Generation auszutauschen, obwohl sie problemlos funktionieren und nach wie vor allen Anforderungen gerecht werden. Auch das Internet an sich führt zu einer höheren Umweltbelastung. So steigt die Zahl der ständig laufenden Server, der Leitungstechnik usw. und damit der Stromverbrauch. Schon heute entfallen bis zu 15% des Stromverbrauchs auf Computer. Durch den immer weiter boomenden Internetversandhandel steigt zudem das Verkehrsaufkommen und damit die Verschwendung von Öl und der Ausstoß von Schadstoffen. Ebenso wird oft vergessen, dass der Kostendruck die Produktion von Computerteilen in Billiglohnländer drängt, dort unzureichende Umwelt- und Sicherheitsstandards sowie unzumutbare Arbeitsbedingungen bis hin zur Ausnutzung von Kinderarbeit und Zwangsarbeit herrschen. Der lange Transport von den Herstellungsländern nach Europa und Nordamerika ist dann auch nur noch ein unbedeutender Teil der Gesamtproblematik.

Doch nicht alles ist schlecht, wenn es um Computer geht. Es gibt Alternativen und wir wollen diese bekannt machen und zeigen, wie man mit relativ einfachen Mitteln einen großen Beitrag leisten kann. Wie überall im Bereich Umweltschutz ist nur ein wenig Umdenken angesagt.


Berichte und Kommentare

Die Gebrechen dieser Gesellschaft aufzulisten ist ebenso wichtig wie unproduktiv, wenn es beim Auflisten bleibt. Tätigsein - übrigens nicht nur menschliches - ändert die Umwelt, und die Menschheit hat sich dabei schon lange in einen Umwelt verändernden Spagat begeben. Dieser hat nicht nur mit den Perversionen heutiger gesellschaftlicher Mechanismen zu tun, auf die der Vortragende abhob, sondern an vielen Stellen auch sachlogische Wurzeln. Damit wird die Suche nach Alternativen schwieriger als bei einem reinen Wünsch-dir-was-Ansatz.

Diese sachlogischen Wurzeln blieben in der Aufzählung des Referenten - wenigstens die ersten 90 Minuten, länger hielt ich es nicht aus - weitgehend ausgespart. Ein solches Panopticon ließe sich mühelos für weitere zweitausend Jahre Vergangenheit erstellen, denn seit Beginn ist das Wirken der Menschen auch Umwelt verändernd - und unsere ackerbaulich geprägte Kulturlandschaft, welche die mitteleuropäischen Urwälder abgelöst hat, in denen unsere Vorfahren vor tausend Jahren noch hausten, legt davon beredtes Zeugnis ab.

Dass Ökologie heute - nicht nur bei Computern - ein wichtiges und zentrales Thema geworden ist, hängt damit zusammen, dass menschliche Umweltveränderung inzwischen maßlos geworden ist und immer stärker die menschlichen Lebensgrundlagen selbst angreift, ohne dass Kräfte der Wende in maßgeblichem Umfang wirklich zu sehen wären. "... ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm." (Benjamin 1965, These 9)

Dies ist aber ein Phänomen, welches nicht allein den Gebrechen dieser Gesellschaft zuzurechnen ist, sondern generell einem aufklärerischen Rationalitätsdenken entspringt, welches die durch moderne Wissenschaft entgrenzte sinnliche Erfahrung der Machbarkeit verabsolutiert. Wahrscheinlich sind sogar umgekehrt die Mechanismen dieser Gesellschaft Ausfluss dieses Machbarkeitswahns. Ob diesem Phänomen allein mit "nur ein wenig Umdenken" wirksam begegnet werden kann, wie der Referent behauptet, darf bezweifelt werden.

Gehen wir also freiwillig zurück auf die Bäume? Wer diese Frage mit "Nein" beantwortet (und ein praxis-philosophischer Ansatz kann gar keinen anderen Ausgangspunkt wählen), der wird sich der Janusköpfigkeit und Ambivalenz technologischer Entwicklung stellen müssen. "... wie haben wir diese Freiheit zu verstehen, wenn sie nicht die törichte Freiheit sein soll, das Falsche zu tun? Wie bewahren wir uns und die Welt mit uns vor der Willkür, nachdem wir ein Stück weit aus dem Bedingungsgefüge der 'Ko-evolution' herausgetreten sind?" (Dürr 2005)

Was bedeutet es, "neben den Produktionsprozeß zu treten, statt sein Hauptagent zu sein"? (MEW 42, S. 593) Was geschieht mit der "disposable time außer der in der unmittelbaren Produktion gebrauchten"? (ebenda, S. 594) Muss sie nicht in hohem Maße aufgewendet werden, um die Widersprüche, über welche an diesem Abend gesprochen wurde, gesellschaftlich zu prozessieren? Ist der Mensch mit dem zunehmenden Heraustreten aus dem unmittelbaren Produktionsprozess nicht zugleich gefordert, alle Kraft nun auf den Reproduktionsprozess zu wenden? Gibt es auf die ökologische Frage nicht nur eine gesellschaftliche Antwort? Deren zentrales Element die Fähigkeit ist, dass "... die Gesellschaft ... einen großen Teil des schon geschaffnen Reichtums entziehn kann, sowohl dem unmittelbaren Genuß, wie der für den unmittelbaren Genuß bestimmten Produktion, um diesen Teil für nicht unmittelbar produktive Arbeit zu verwenden"? (ebenda, S. 596) Ist hierfür eine andere Gesellschaft möglich und erforderlich oder müssen wir den (Aus-)Weg in dieser Gesellschaft finden?

Dies ist keine wirkliche Alternative. Wir sind unversehens wieder bei Adornos Frage gelandet: "Gibt es ein richtiges Leben im falschen?" und Blochs Antwort: "Wir haben gar keine andere Wahl, als es zu versuchen". Wie dieser Spagat praktisch umzusetzen sei, darauf gibt es keine allgemeingültigen Antworten, sondern jede(r) muss für sich und seine konkrete Situation selbst einen Weg zu nachhaltiger Kultur finden. Sich über Erfahrungen bei dieser Suche auszutauschen ist wichtig, denn dieser Weg ist konkret, führt durch bestehende Realitäten und muss die Horizonte von Änderungsmöglichkeiten ernst nehmen. Das kam an diesem Abend deutlich zu kurz.

Hans-Gert Gräbe, 17.12.2006