WAK.Rezensionen.Hesse-2003
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Das Eigentum im Widerstreit alternativer Wirtschaftskonzepte
- Das Eigentum im Widerstreit alternativer Wirtschaftskonzepte, Band I und II.
- Diskurs Streitschriften zu Geschichte und Politik des Sozialismus, Heft 15 u. 16
- Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, Leipzig 2003 und 2004
Siehe auch http://www.rosa-luxemburg-stiftung-sachsen.de/seiten/ver-diskurs.html
Im frühen Altertum, so wissen wir noch aus der Schule, wurde der Reichtum nach dem Umfang der Viehherden bemessen, die einer sein eigen nannte. Man zählte die Köpfe - „capita“. Von daher das Wort “Kapitalismus“. Unsere Gesellschaftsordnung demnach: eine Ordnung des Eigentums. Mit den Fundamenten dieser Ordnung also befasste sich im Vorjahr ein Kolloquium bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, dessen Thema lautete:„Das Eigentum im Widerstreit alternativer Wirtschaftskonzepte“. Wegen der „immensen Spannweite der Thematik“ war die Veranstaltung vorsorglich auf zwei Tage verteilt worden, einen im April und einen im November 2003. Der Anspruch: die theoretische Fundierung einer sozialistischen Eigentumspolitik.
Nach Band I, Heft 15, erschienen im September 2003, erschien jüngst als Nr.16 der roten Heftchen der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen Teil II des Dokumentationsbandes. Damit liegt das Tagungsmaterial nun komplett vor. Die Bände enthalten 18 Beiträge von 16 Autoren mit einem Vorwort von D.Janke(Leipzig). Das Spektrum reicht von der Entstehung des Eigentums bei verschiedenen Völkern der Antike bis zum neoliberalen, grenzenlos praktizierten Privatisierungswahn der Gegenwart und bis hin zum Irak-Krieg. Marxistische Analyse des Eigentumsbegriffs, Erörterung rechtlicher Aspekte von Eigentum und Besitz waren erwartete Ausgangspunkte in der Diskussion.
Dominieren im ersten Teil mehr theoretische Fragestellungen, rücken im zweiten Teil mehr politisch-praktische Fragen in den Vordergrund; die Zusammenschau beider Teile ist unerlässlich. Deutlich ist zu spüren: Je mehr die gesellschaftlichen Realitäten dazu zwingen, aus der Defensive heraus zu argumentieren, desto weniger können etwaige Visionen an Kontur gewinnen. Wer zu den beiden Bänden greift, darf also vielerlei Anregung erwarten, nicht aber fertige Lösungen; und nicht alle Positionen wird er auch teilen können.
Es konnten nicht alle Facetten der Thematik ausgeleuchtet werden. Das ist verständlich. In den analytischen Betrachtungen - so von H .Richter (Freital), U.Busch (Berlin), E.Müller (Taucha), H.G. Draheim (Leipzig) - wurden bei ähnlicher Ausgangsposition ganz unterschiedliche Akzente gesetzt. Überraschend die Leichtigkeit, mit der man sich von der einmaligen historischen und letztlich verspielten Chance umfassenden gesellschaftlichen Eigentums, vom Volkseigentum, verabschiedet. Bei Richter war es „keine brauchbare Alternative zum Privateigentum“ – es fehlte Stimulierung und Motivation. Nach Busch hat sich „der reale Sozialismus als Gesellschaftskonstrukt, das auf staatlich vergesellschaftetem Eigentum beruhte, letztlich nicht als entwicklungsfähig erwiesen“ - Punkt.
Dies erscheint dann doch als etwas verkürzte Sicht: das Volkseigentum hier nur in gehabter, zentralistisch verwalteter Form; ohne an mögliche Alternativen, an demokratische Kontrolle über dieses Volkseigentum auch nur zu denken. Was sollten wir, nach unseren Erfahrungen befragt, nun solchen Gesellschaften empfehlen, die mögliche „Transformationsprozesse“ noch vor sich haben, oder Gesellschaften, wo das Staatseigentum zur Disposition gestellt ist (man denke an China, Kuba, Venezuela...)?
Die Frage blieb nun, wie die theoretische Analyse in brauchbare Handlungsstrategien unter heutigen Bedingungen umgesetzt werden soll. Den größten Nutzen zieht man da aus der Lektüre, wo es tatsächlich gelingt, die Linie von der tiefgründigen Analyse über die Suche nach brauchbaren Strategien bis zur Formulierung von entsprechenden Politikansätzen auch durchzuhalten. Da wären die Beiträge von J.Leibiger (Radebeul) und U.Busch (Berlin) hervorzuheben. Beider Ausgangspunkte sind Privatisierung öffentlichen Eigentums, insbesondere GATS als wesentliches Element neoliberaler Reformpolitik, national und global. Leibiger charakterisiert die Privatisierungsbestrebungen, die vor nichts halt machen, als „neue Dimension ursprünglicher Akkumulation“, als „schleichende Enteignung der Weltgesellschaft“. Er nennt alarmierende Beispiele. Das Ausmaß der Privatisierungen des letzten Jahrzehnts bedeutet nach Busch eine ordnungspolitische Korrektur für Europa. Die Linke argumentiere demgegenüber zu traditionalistisch und zu defensiv. Das öffentliche Eigentum müsse vielmehr positiv und zwar ökonomisch begründet werden, um es verteidigen und ausbauen zu können.
Grundlage linker Eigentumspolitik ist die Pluralität der Eigentumsformen, d.h. deren Akzeptanz als privates, genossenschaftliches, öffentliches staatliches oder kommunales Eigentum, die alle Anspruch auf Schutz bzw. Förderung haben. Dabei ist besonders das private nach sehr unterschiedlichen Formen und Konzentrationsgraden zu behandeln (Eigenheim oder Mietshaus, kleine Einzelunternehmen, Geschäftsanteile, Aktien bei Großunternehmen etc.). Auf dieser Grundlage wird dann auf den unterschiedlichen Feldern nach adäquaten Antworten gesucht, so beim Wohneigentum (J.Stahl, Leipzig), beim Eigentum der Agrargenossenschaften (H.Luft, Berlin), bei den Naturressourcen (G.Müller, Taucha), bei Ausgestaltung der Eigentumsbeziehungen im öffentlich-rechtlichen Raum (J.Leibiger; S.Scheel, Leipzig).
Nun gibt es aber kein „Eigentum an sich“ sondern vielmehr ein System, ein „Bündel von Rechten“, welche in sich sehr differenziert sein können. So entstehen Spielräume einer variablen Gestaltung der Eigentumsrechte auch unter marktwirtschaftlichen Bedingungen; hier kann sozialistische Eigentumspolitik unmittelbar ansetzen. Das zeigt Leibiger überzeugend am Beispiel von Privatisierungsvorhaben im öffentlichen Nahverkehr, mit konkreten Ansatzpunkten für zweckmäßige Verhandlungsstrategien, aus der Sorge heraus entwickelt, die Stadträte mit ihren Fragen durch die Wirtschaftstheoretiker nicht allein zu lassen.
Pluralität der Eigentumsformen heißt, nicht vordergründig Sozialisierung oder Verstaatlichung anzupeilen, sondern die demokratische Ausgestaltung und Entwicklung auch der privaten Eigentumsformen, um demokratische Entscheidungsgewalt über die Grundprozesse zu gewinnen, etwa durch Ausbau der Mitbestimmung in den Unternehmen, Stärkung der Tarifsysteme, mehr Bürgerbeteiligung. Regelmäßig wird Artikel 14 GG (die Sozialpflichtigkeit des Eigentums) herangezogen. Artikel 14 kann aber höchstens Rettungsanker, nicht Fortschrittsvehikel sein. Nicht die Vergesellschaftung des Eigentums steht auf der Tagesordnung, sondern die Verteidigung öffentlicher Güter gegen die weltweit vorangetriebene Tendenz der totalen Privatisierung unter der Ägide der WTO. Dieses ist vordringliche Aufgabe praktischer linker Politik, mahnt J.Leibiger.
Bedauerlicherweise blieb die Behandlung der Gefahren, die von GATS und anderen Abkommen ausgehen, sozusagen die Sache weniger Spezialisten (außer den Genannten ging nur Scheel näher darauf ein). Bei den Globalisierungskritikern steht dieses Thema schon lange ganz oben auf der Agenda, aber bei großen Teilen der Linken besteht dringender Nachholbedarf. Eigentum als Kapital ist kein „Wert an sich“; es ist nützlich allein in bezug auf die Aneignung Die Aneignungsproblematik kommt, abgesehen von einem Beitrag von S.Latchinian (Leipzig), der den Irak-Krieg in die Kontinuität von über 50 Jahren imperialistischer Aneignungspolitik stellt, und einem Versuch von E.Müller zum „Mehrwerteinkommen“ leider zu kurz. Bei Marx findet sich der Hinweis, dass „Gesellschaftsunternehmungen wie Aktiengesellschaften als Form der Vergesellschaftung, als Übergangsform in Richtung Aufhebung des Kapitals als Privateigentum“ anzusehen sind. Mit Blick auf das Kreditsystem lässt sich so schließlich der Sparer zutreffend als eigentlicher Eigentümer der Produktionsmittel beschreiben.
Marx zeigt hier ein bestimmtes Konfliktpotenzial auf. Wenn Busch nun ein (wohl positives) Umdenken in bezug auf die Rolle der Finanzmärkte fordert, könnte man beinahe vermuten, dass sich da die Sozialisierung des Eigentums quasi von selbst anbahnt. Entscheidend bleibt aber, wo bei selbst breitester Eigentumsstreuung die tatsächliche Verfügung über das Eigentum - die Aneignungsgewalt - konzentriert ist. Das ist ja eben der Punkt: dass das Monopolkapital gerade auf die Verfügung über fremdes Eigentum und fremdes Kapital abzielt. Zur Rolle der Finanzmärkte und ihrer Akteure besteht noch viel Diskussionsbedarf.
Unter dem Dach der Rosa-Luxemburg-Stiftung muss es selbstverständlich um die Behandlung der Eigentumsfrage durch die PDS gehen. Dazu bietet H.-G.Trost einen umfassenden Überblick zu Entwicklung und Stand der Programmatik, bei Einbeziehung auch von Gegenpositionen innerhalb der PDS. In der Diskussion wurde die undifferenzierte Behandlung der Unternehmer kritisiert: Kleine und mittlere Unternehmen, Selbstständige, einfache Warenproduzenten würden in der Regel in einen Topf geworfen, statt Unterschiede zu machen. Eine Antwort gibt im zweiten Teil C.Luft (Berlin) zur Eigentumspolitik der PDS, anschaulich belegt mit Daten. Das Programm der PDS geht von der Akzeptanz des Gewinnstrebens der Unternehmer aus und stellt die gemeinsamen Interessen von kleinen und mittleren Unternehmern, Beschäftigten und der Öffentlichkeit in den Vordergrund. Demgemäß ist im Programm ausdrücklich die Pluralität der Eigentumsformen und ihre demokratische Ausgestaltung festgeschrieben. Es komme auf die Rahmenbedingungen an, unter denen Unternehmen agieren (Steuern, Abgaben, Mitbestimmung, Tarifverträge und andere demokratische Ausgestaltungsformen). Diese Argumentation wird anschaulich bestätigt durch die Betrachtungen eines „linken Unternehmers“ (B.Augustin, Leipzig).
Der Weg also: Gewinnung demokratischer Entscheidungsmacht über gesellschaftliche Grundprozesse. Das ist gewiss ein weiter Weg, aber ohne wirkliche Alternative. Auf diesem Wege sind noch viele Frage zu klären, und manches Programm wird noch zu formulieren sein. Wenn also H.G.Trost zum Abschluss feststellt, dass ein Programm niemals fertig sei, so ist das durchaus positiv zu verstehen.
Horst Hesse, 17.11.2004