APRIL.Argumente.Schulden: Unterschied zwischen den Versionen

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:"Die Verschuldung der Stadt belastet uns jährlich mit Zinsausgaben von 40 Millionen Euro -- eine gewaltige Summe, mit der aber noch kein Euro getilgt ist! Wir müssen also den Haushalt nachhaltig entschulden. Das ist unverzichtbar, um die Handlungs- und Investitionsfähigkeit der Stadt zurückzugewinnen. Ein Blick auf die Situation unserer Kitas, Schulen, Brücken und Straßen macht das sehr schnell klar. Wir brauchen hier dringend Investitionsmittel, um die zum Teil schlechten Verhältnisse spürbar zu verbessern." [1]


== Die Schulden der Stadt Leipzig ==
Passend zum zunehmenden Erfolg des Bürgerbegehrens machte die folgende Meldung die Runde durch die Medien, um noch einmal die dramatische Finanzlage der Stadt zu unterstreichen:


OBM Jung im [[published in:=Leipziger Amtsblatt, 15.09.2007]]: Die Verschuldung der Stadt belastet uns jährlich mit Zinsausgaben von 40 Millionen Euro - eine gewaltige Summe, mit der aber noch kein Euro getilgt ist! Wir müssen also den Haushalt nachhaltig entschulden. Das ist unverzichtbar, um die Handlungs- und Investitionsfähigkeit der Stadt zurückzugewinnen. Ein Blick auf die Situation unserer Kitas, Schulen, Brücken und Straßen macht das sehr schnell klar. Wir brauchen hier dringend Investitionsmittel, um die zum Teil schlechten Verhältnisse spürbar zu verbessern.
:50 Mill. minus. Rathauschef rechnet für 2008 mit Haushaltsdefizit.  Stellenabbau angedroht. (Quelle: [[published in:=LVZ, 24.10.2007]])


== Argumente und Hintergründe ==
Wir erinnern und fragen: Was hat es mit diesen Schulden auf sich, wie sind sie entstanden, wie sind sie zu bewerten, wie ist mit ihnen umzugehen?


Hier sind eine Reihe von Fragen zu beantworten:
==Die Rolle von Schulden in dieser Gesellschaft==
* Wo kommen die Schulden her?
* Wie hoch sind die Schulden und welche Werte stehen dagegen?
* Wie ist die Schuldendynamik einzuschätzen?
* Wie ist die Verschuldungssituation Leipzigs im Vergleich zu anderen Großstädten Sachsens bzw. der Bundesrepublik? Welcher Anteil ist hausgemacht und was davon durch verfehlte Landes- oder Bundespolitik strukturell bedingt?


Dies soll hier demnächst genauer auseinandergenommen werden.
Schulden sind in dieser Gesellschaft etwas Alltägliches, so lange man sie
bedienen kann. Gesamtgesellschaftlich bedeuten sie ein Null-Summen-Spiel, denn
jeder Schuld steht eine Forderung in gleicher Höhe gegenüber, jedem Schuldner
ein (oder mehrere) Gläubiger. Beschränken wir uns auf Investitions- und
Umlaufkredite - um die es bei einer Kommune wie Leipzig einzig geht - so
stellt ein Gläubiger dem Schuldner Geld zur Verfügung, welches er gerade
selbst nicht benötigt, und ermöglicht dem Schuldner damit ein Projekt zu
verwirklichen, welches sonst erst deutlich später hätte in Angriff genommen
werden können.  Gesamtgesellschaftlich erlauben Kredite also die Konzentration
der Wirtschaftskraft auf einzelne Projekte und sind damit besonders dann
sinnvoll, wenn damit längerfristige Effekte verbunden sind wie etwa beim
privaten Hausbau: Es ist sinnvoller, Häuser eins nach dem anderen zu bauen
statt alle gleichzeitig anzufangen und mit keinem zum Ende zu kommen.
 
Schulden bedeuten zeitweisen Verzicht des Gläubigers, sein Geld in
Wirtschaftskraft zum eigenen Nutzen zu verwandeln. Dafür erhält er einen Zins,
der für Kaufkraftverlust, Belohnung für den zeitweisen Verzicht und
Risikoabschirmung steht. Während die ersten beiden Zinsbestandteile von der
allgemeinen Wirtschaftslage abhängen und bei allen Krediten mehr oder weniger
gleich sind, schirmt der dritte Bestandteil die Möglichkeit ab, dass der
Schuldner insolvent wird und den Kredit nicht zurückzahlen kann. In diesem
Fall kann der Gläubiger auf die Kreditsicherheiten durchgreifen, sich diese
aneignen und verwerten, um doch noch zu seinem Geld zu kommen. Die Höhe dieses
Risikoaufschlags hängt wesentlich von der "Bonität" des Kreditnehmers ab, also
von der allgemeinen Einschätzung, wie wahrscheinlich die Zahlungsunfähigkeit
ist und auf welche Sicherheiten und Bürgschaften im Insolvenzfall
durchgegriffen werden kann. Da öffentliche Körperschaften wie z.B. Kommunen in
ein Netzwerk vielfacher Absicherung eingebunden sind und eigentlich nicht
bankrott gehen können, ist deren Bonität sehr gut. Bundes- und
Kommunalobligationen sind deshalb im Bankgeschäft erstklassige Sicherheiten
und zählen zu den wenig risiko- aber damit auch wenig renditeträchtigen
Rentenpapieren.  Kredite können deshalb von Kommunen zu Spitzenkonditionen
aufgenommen werden.
 
==Wie hoch sind die Schulden Leipzigs?==
 
Was bedeutet "Leipzig hat 950 Mill. Euro Schulden" (Quelle: [[published
in:=LVZ, 26.01.2007]]) und "zahlt jährlich 40 Mill. Euro Zinsen" [1]? Oder ist
die Rechnung des Regierungspräsidiums richtig, das von "2.6 Mrd. Euro
Gesamtverschuldung, davon 1.6 Mrd. Euro Verbindlichkeiten kommunaler Firmen,
950 Mill. Euro Verbindlichkeiten der Stadt und 50 Mill. Euro Verbindlichkeiten
von Eigenbetrieben" (Quelle: [[published in:=LVZ, 25.01.2007]]) ausgeht, denn
man müsse dabei ja auch die Verbindlichkeiten der kommunalen Unternehmen und
Beteiligungen hinzurechnen, für die die Kommune ebenfalls gerade stehen muss.
 
Wie oben ausgeführt, ist die absolute Höhe der Schulden zweitrangig, wenn sie
bedient werden können. So hat die Stadt Kassel ebenfalls 900 Mill. Euro
Schulden, aber nur halb so viele Einwohner wie Leipzig. Deshalb ist deren
Situation noch nicht doppelt so dramatisch wie die Leipzigs.
 
Weder die Stadt Leipzig noch die großen kommunalen Unternehmen haben akute
Probleme mit der Bedienung ihrer Schulden - jedenfalls ist davon trotz
regelmäßiger externer Betriebsprüfungen bisher nichts in die Presse
durchgesickert.
 
Für eine detaillierte Einschätzung wäre es also erforderlich, '''für jedes
einzelne Rechtssubjekt''' zunächst einmal eine Bilanz aufzustellen,
* welche Schulden aufgenommen wurden,
* aus welchen Mitteln sie bedient werden,
* ob die Bedienung der Schulden über die Laufzeit gewährleistet ist,
* wie sich dies auf die allgemeine Handlungsfähigkeit des Unternehmens auswirkt, 
* mit welchen Leistungen die Schulden besichert sind und
* ob selbst eigene Darlehen ausgereicht wurden.
 
Eine solch komplexe Rechnung ist aufwändig, erfordert Zugang zu Detaildaten
und kann und soll deshalb hier nicht geführt werden. Jedoch lassen sich die
großen Posten und Akteure im Leipziger Stadt-Monopoly von über 70 aktiven
kommunalen Unternehmen und Beteiligungen (Quelle: [2], für eine Übersicht
siehe [[APRIL.Beteiligungen]]) aus öffentlichen Verlautbarungen gut
rekonstruieren.  Dies ist zunächst die Stadt Leipzig mit ihrem Stadthaushalt,
weiter die drei großen Stadtfirmen [[SWL]], [[KWL]] und [[LVB]], die 1998 aus
dem Eigentum der Stadt in die Stadtholding [[LVV]] ausgegliedert wurden, die
LVV selbst und schließlich die Leipziger Wohnungsbaugesellschaft [[LWB]].
 
Von diesen Firmen steht derzeit nur die anteilige Privatisierung der SWL auf
der Tagesordnung, während dies bei LVB und KWL schwierig wäre - weniger wegen
der "großen Bedeutung kommunaler Hoheit über die Wasserressourcen" [2] als
schlicht aus dem Grund, dass beide Firmen in
[[CBL|Cross-Border-Leasing-Geschäfte]] verwickelt sind und damit die Stadt
dort in Teilen bereits nicht mehr Herr im eigenen Hause ist.  Die
Privatisierung im Wohnungsbestand soll durch Veräußerungen im Zuge einer
Reduktion des LWB-Bestands auf einen Kernbereich erreicht werden, der an
Rechtsform und Beteiligungen der dann auf einen Kern geschrumpften LWB nichts
ändern würde.

Version vom 28. Oktober 2007, 21:32 Uhr

"Die Verschuldung der Stadt belastet uns jährlich mit Zinsausgaben von 40 Millionen Euro -- eine gewaltige Summe, mit der aber noch kein Euro getilgt ist! Wir müssen also den Haushalt nachhaltig entschulden. Das ist unverzichtbar, um die Handlungs- und Investitionsfähigkeit der Stadt zurückzugewinnen. Ein Blick auf die Situation unserer Kitas, Schulen, Brücken und Straßen macht das sehr schnell klar. Wir brauchen hier dringend Investitionsmittel, um die zum Teil schlechten Verhältnisse spürbar zu verbessern." [1]

Passend zum zunehmenden Erfolg des Bürgerbegehrens machte die folgende Meldung die Runde durch die Medien, um noch einmal die dramatische Finanzlage der Stadt zu unterstreichen:

50 Mill. minus. Rathauschef rechnet für 2008 mit Haushaltsdefizit. Stellenabbau angedroht. (Quelle: LVZ, 24.10.2007)

Wir erinnern und fragen: Was hat es mit diesen Schulden auf sich, wie sind sie entstanden, wie sind sie zu bewerten, wie ist mit ihnen umzugehen?

Die Rolle von Schulden in dieser Gesellschaft

Schulden sind in dieser Gesellschaft etwas Alltägliches, so lange man sie bedienen kann. Gesamtgesellschaftlich bedeuten sie ein Null-Summen-Spiel, denn jeder Schuld steht eine Forderung in gleicher Höhe gegenüber, jedem Schuldner ein (oder mehrere) Gläubiger. Beschränken wir uns auf Investitions- und Umlaufkredite - um die es bei einer Kommune wie Leipzig einzig geht - so stellt ein Gläubiger dem Schuldner Geld zur Verfügung, welches er gerade selbst nicht benötigt, und ermöglicht dem Schuldner damit ein Projekt zu verwirklichen, welches sonst erst deutlich später hätte in Angriff genommen werden können. Gesamtgesellschaftlich erlauben Kredite also die Konzentration der Wirtschaftskraft auf einzelne Projekte und sind damit besonders dann sinnvoll, wenn damit längerfristige Effekte verbunden sind wie etwa beim privaten Hausbau: Es ist sinnvoller, Häuser eins nach dem anderen zu bauen statt alle gleichzeitig anzufangen und mit keinem zum Ende zu kommen.

Schulden bedeuten zeitweisen Verzicht des Gläubigers, sein Geld in Wirtschaftskraft zum eigenen Nutzen zu verwandeln. Dafür erhält er einen Zins, der für Kaufkraftverlust, Belohnung für den zeitweisen Verzicht und Risikoabschirmung steht. Während die ersten beiden Zinsbestandteile von der allgemeinen Wirtschaftslage abhängen und bei allen Krediten mehr oder weniger gleich sind, schirmt der dritte Bestandteil die Möglichkeit ab, dass der Schuldner insolvent wird und den Kredit nicht zurückzahlen kann. In diesem Fall kann der Gläubiger auf die Kreditsicherheiten durchgreifen, sich diese aneignen und verwerten, um doch noch zu seinem Geld zu kommen. Die Höhe dieses Risikoaufschlags hängt wesentlich von der "Bonität" des Kreditnehmers ab, also von der allgemeinen Einschätzung, wie wahrscheinlich die Zahlungsunfähigkeit ist und auf welche Sicherheiten und Bürgschaften im Insolvenzfall durchgegriffen werden kann. Da öffentliche Körperschaften wie z.B. Kommunen in ein Netzwerk vielfacher Absicherung eingebunden sind und eigentlich nicht bankrott gehen können, ist deren Bonität sehr gut. Bundes- und Kommunalobligationen sind deshalb im Bankgeschäft erstklassige Sicherheiten und zählen zu den wenig risiko- aber damit auch wenig renditeträchtigen Rentenpapieren. Kredite können deshalb von Kommunen zu Spitzenkonditionen aufgenommen werden.

Wie hoch sind die Schulden Leipzigs?

Was bedeutet "Leipzig hat 950 Mill. Euro Schulden" (Quelle: Der Name des Attributs „published</br>in“ enthält das ungültige Zeichen „LF“, das nicht hierfür verwendet werden kann.) und "zahlt jährlich 40 Mill. Euro Zinsen" [1]? Oder ist die Rechnung des Regierungspräsidiums richtig, das von "2.6 Mrd. Euro Gesamtverschuldung, davon 1.6 Mrd. Euro Verbindlichkeiten kommunaler Firmen, 950 Mill. Euro Verbindlichkeiten der Stadt und 50 Mill. Euro Verbindlichkeiten von Eigenbetrieben" (Quelle: LVZ, 25.01.2007) ausgeht, denn man müsse dabei ja auch die Verbindlichkeiten der kommunalen Unternehmen und Beteiligungen hinzurechnen, für die die Kommune ebenfalls gerade stehen muss.

Wie oben ausgeführt, ist die absolute Höhe der Schulden zweitrangig, wenn sie bedient werden können. So hat die Stadt Kassel ebenfalls 900 Mill. Euro Schulden, aber nur halb so viele Einwohner wie Leipzig. Deshalb ist deren Situation noch nicht doppelt so dramatisch wie die Leipzigs.

Weder die Stadt Leipzig noch die großen kommunalen Unternehmen haben akute Probleme mit der Bedienung ihrer Schulden - jedenfalls ist davon trotz regelmäßiger externer Betriebsprüfungen bisher nichts in die Presse durchgesickert.

Für eine detaillierte Einschätzung wäre es also erforderlich, für jedes einzelne Rechtssubjekt zunächst einmal eine Bilanz aufzustellen,

  • welche Schulden aufgenommen wurden,
  • aus welchen Mitteln sie bedient werden,
  • ob die Bedienung der Schulden über die Laufzeit gewährleistet ist,
  • wie sich dies auf die allgemeine Handlungsfähigkeit des Unternehmens auswirkt,
  • mit welchen Leistungen die Schulden besichert sind und
  • ob selbst eigene Darlehen ausgereicht wurden.

Eine solch komplexe Rechnung ist aufwändig, erfordert Zugang zu Detaildaten und kann und soll deshalb hier nicht geführt werden. Jedoch lassen sich die großen Posten und Akteure im Leipziger Stadt-Monopoly von über 70 aktiven kommunalen Unternehmen und Beteiligungen (Quelle: [2], für eine Übersicht siehe APRIL.Beteiligungen) aus öffentlichen Verlautbarungen gut rekonstruieren. Dies ist zunächst die Stadt Leipzig mit ihrem Stadthaushalt, weiter die drei großen Stadtfirmen SWL, KWL und LVB, die 1998 aus dem Eigentum der Stadt in die Stadtholding LVV ausgegliedert wurden, die LVV selbst und schließlich die Leipziger Wohnungsbaugesellschaft LWB.

Von diesen Firmen steht derzeit nur die anteilige Privatisierung der SWL auf der Tagesordnung, während dies bei LVB und KWL schwierig wäre - weniger wegen der "großen Bedeutung kommunaler Hoheit über die Wasserressourcen" [2] als schlicht aus dem Grund, dass beide Firmen in Cross-Border-Leasing-Geschäfte verwickelt sind und damit die Stadt dort in Teilen bereits nicht mehr Herr im eigenen Hause ist. Die Privatisierung im Wohnungsbestand soll durch Veräußerungen im Zuge einer Reduktion des LWB-Bestands auf einen Kernbereich erreicht werden, der an Rechtsform und Beteiligungen der dann auf einen Kern geschrumpften LWB nichts ändern würde.