WAK:2007-01-31: Unterschied zwischen den Versionen

Aus LeipzigWiki
Zur Navigation springenZur Suche springen
Keine Bearbeitungszusammenfassung
Keine Bearbeitungszusammenfassung
 
(3 dazwischenliegende Versionen von einem anderen Benutzer werden nicht angezeigt)
Zeile 1: Zeile 1:
Home [[Hauptseite]] / [[WAK.Netzwerk|WAK]] / [[WAK.Rezensionen]]
:<font size="+2"> Das Ende der "schönen Maschine". Ein Abgesang auf das Auslaufmodell Kapitalismus.</font>
:<font size="+2"> Das Ende der "schönen Maschine". Ein Abgesang auf das Auslaufmodell Kapitalismus.</font>
:<font size="+1">mit Robert Kurz, Publizist und Autor (Nürnberg)</font>
:<font size="+1">mit Robert Kurz, Publizist und Autor (Nürnberg)</font>
Zeile 8: Zeile 11:


Der Referent, besonders bekannt durch sein "Schwarzbuch des Kapitalismus" und seine radikalen Thesen zur Unfähigkeit des modernen Kapitalismus und jeglicher Marktwirtschaft, die Probleme der Globalisierung lösen zu können, benennt die Gründe, warum er das so sieht. Mit dem von ihm gewählten Begriff der "schönen Maschine" als Metapher für den Kapitalismus, charakterisiert er die Loslösung jedes Sinnes und Zwecks von den wirklichen Bedürfnissen und Notwendigkeiten der Menschen und prognostiziert den baldigen großen Crash.
Der Referent, besonders bekannt durch sein "Schwarzbuch des Kapitalismus" und seine radikalen Thesen zur Unfähigkeit des modernen Kapitalismus und jeglicher Marktwirtschaft, die Probleme der Globalisierung lösen zu können, benennt die Gründe, warum er das so sieht. Mit dem von ihm gewählten Begriff der "schönen Maschine" als Metapher für den Kapitalismus, charakterisiert er die Loslösung jedes Sinnes und Zwecks von den wirklichen Bedürfnissen und Notwendigkeiten der Menschen und prognostiziert den baldigen großen Crash.
== Bericht ==
[[User:HGG|Hans-Gert Gräbe]], 03.02.2007:
Der Name des Nürnberger Autors Robert Kurz ist immer wieder ein Magnet, und so
waren an dem Abend im Grünen Salon der Schaubühne selbst die Stehplätze rar.
Und diejenigen, die zu Kurz gekommen waren, sind auch nicht zu kurz gekommen
bei der Gesamtschau des Referenten auf primär ökonomisch getriggerte
Entwicklungen und Phänomene einer zunehmend aus dem Ruder geratenden
Gesellschaft.  Diese reichen vom großen Druck auf das Lohnniveau angesichts
struktureller Massenarbeitslosigkeit über das zunehmende Ausweichen des
Kapitals in eine ungeheuer aufgeblähte Finanzsphäre als scheinbar einzigem
Ort, an welchem sich noch einigermaßen sichere Gewinne machen lassen, bis hin
zur Rolle des Welthandels als Katalysator einer an Globalisierung
ausgerichteter Standortrhetorik nationaler Politik im Interesse des Kapitals.
Auch wenn eine solche Argumentation nicht oft genug wiederholt werden kann, um
den Blick für die großen Zusammenhänge in dieser Welt zu schärfen, so bot sie
doch für Kenner der Kurzschen Argumentation nicht viel Neues.  Widerspruch
oder Nachfrage waren an diesem Abend zeitlich kaum möglich, da bereits die
nächste Veranstaltung in den Raum drängte, kaum dass der Referent zum Ende
gekommen war.  Leider hatten die Organisatoren von Attac in der an diesem
Abend übervollen Schaubühne auch nicht für die Möglichkeit zur Diskussion im
kleinen Kreis gesorgt und so verlief sich nach und nach das noch
diskussionshungrige Publikum, ohne dass es auf seine Kosten gekommen wäre.
Schade.
Deshalb wenigstens ein paar schriftliche Anmerkungen.  Das große Bild vom
aktuellen Status quo, die Bedrohung durch die aufgeblähte Finanzsphäre, die
absehbare Wirkung der krassen und weiter zunehmenden Überschuldung der USA auf
die Wechselkurse und Devisenreserven und damit die Stabilität des globalen
Bankensystems, die Rolle der Münteferingschen "Heuschrecken" bei der
gnadenlosen "Kommodifizierung" - dem Auspressen auch der letzten aktuell
erschließbaren Effizienzreserven, meist zu Lasten von Zukunftsfähigkeit -, all
dies ist kaum ernsthaft in Zweifel zu ziehen.
Allerdings halte ich es für verfehlt, die heute ablaufenden Prozesse - wie der
Referent an diesem Abend - allein aus der Sicht der Wertform zu beurteilen, da
wichtige Nuancen aus dem Blickfeld geraten.  So kann ich die These des
Referenten nicht nachvollziehen, dass die großen Autokonzerne ihre
strategischen Geschäftsfelder zunehmend in die Finanzsphäre verlagern.  Schaut
man sich BMW Leipzig vor Ort an - etwa im Rahmen der angebotenen
Werksführungen - so wird schnell deutlich, dass es dort noch immer primär um
Autos geht und Autobauen auch nicht auf den zweiten Plan gerückt ist.  Es wird
auch schnell deutlich, dass ein neues Werk wie BMW Leipzig kein "Klon des
Stammwerks" ist, sondern sich die einzelnen Werke wie große Organismen
entwickeln, deren unverwechselbare Identität aus der Vielzahl der speziellen
Lösungen der großen und kleinen Alltagsprobleme erwächst.  Wobei eine solche
Identität mit der Zeit zu Reife und gelegentlich auch zu Verknöcherung führt,
und wichtige neue Entwicklungen nicht in der Form aufgenommen werden können,
wie dies aus (Autobauer)-Sicht des Gesamtunternehmens vielleicht wünschenswert
wäre.  In einem neuen Werk - und so war auch BMW Leipzig konzipiert - besteht
allein die Möglichkeit, mit dem Rollout einen präzisierten Startpunkt zu
setzen, welcher die gesammelten Erfahrungen aufnimmt und fortschreibt, etwa
durch neue Hard- und Software, umstrukturierte Entscheidungsprozesse usw.
Danach beginnt dieser neue Organismus genauso ein Eigenleben wie die
"Stammwerke" und beginnt, seine eigene Melodie im Orchester der Werksstandorte
zu spielen.
Es sind große Summen Geldes im Spiel, um sicherzustellen, dass BMW auch in
einer jenseits unmittelbarer Return-on-Invest-Rechnungen liegenden Zukunft
Autos besser und effizienter baut als seine Mitbewerber.  Ein solches
High-Tech-Werk braucht mehr denn je nicht nur hoch motivierte, sondern hoch
kompetente Mitarbeiter - nicht zuletzt in vollkommen neuen Größenordnungen gut
ausgebildetes ingenieur-technisches Personal mit einem guten Gefühl für die
ablaufenden komplexen Prozesse und einem fast professoralen
Weiterbildungsverhalten.
Die Zeit der monotonen Bandarbeit geht ihrem Ende entgegegen.  Auch bei BMW
rückt die nur in einem komplexen Sinne zu verstehende "Beherrschung der Macht
der Agentien, die während der Arbeit in Bewegung gesetzt werden" (MEW 42,
S. 592) in den Fokus. Die erforderliche Kompetenz und Spezialkenntnis ist sehr
individuell und kaum in ein Kommandoverhältnis alter Provenienz zu pressen.
Damit ist aber auch das Bild des Lohnarbeiters, welcher "bei der Arbeit außer
sich und außer der Arbeit bei sich" ist, am Ende.  Das Kapitalverhältnis wird
damit nicht aufgehoben, cash flow und work flow jedoch ganz entscheidend
entkoppelt.  Eine seriöse Bewertung ''dieser'' Aspekte der heutigen
Entwicklung steht im Rahmen des Kurzschen Oeuvres nach wie vor aus.

Aktuelle Version vom 21. Dezember 2007, 17:38 Uhr

Home Hauptseite / WAK / WAK.Rezensionen


Das Ende der "schönen Maschine". Ein Abgesang auf das Auslaufmodell Kapitalismus.
mit Robert Kurz, Publizist und Autor (Nürnberg)
Veranstaltung in der Reihe "Mittwochsattacke" von Attac Leipzig, zusammen mit der RLS.
31. Januar 2007, 18:00 Uhr, Schaubühne Lindenfels, Karl- Heine-Straße 50.

Ankündigung

Der Referent, besonders bekannt durch sein "Schwarzbuch des Kapitalismus" und seine radikalen Thesen zur Unfähigkeit des modernen Kapitalismus und jeglicher Marktwirtschaft, die Probleme der Globalisierung lösen zu können, benennt die Gründe, warum er das so sieht. Mit dem von ihm gewählten Begriff der "schönen Maschine" als Metapher für den Kapitalismus, charakterisiert er die Loslösung jedes Sinnes und Zwecks von den wirklichen Bedürfnissen und Notwendigkeiten der Menschen und prognostiziert den baldigen großen Crash.


Bericht

Hans-Gert Gräbe, 03.02.2007:

Der Name des Nürnberger Autors Robert Kurz ist immer wieder ein Magnet, und so waren an dem Abend im Grünen Salon der Schaubühne selbst die Stehplätze rar. Und diejenigen, die zu Kurz gekommen waren, sind auch nicht zu kurz gekommen bei der Gesamtschau des Referenten auf primär ökonomisch getriggerte Entwicklungen und Phänomene einer zunehmend aus dem Ruder geratenden Gesellschaft. Diese reichen vom großen Druck auf das Lohnniveau angesichts struktureller Massenarbeitslosigkeit über das zunehmende Ausweichen des Kapitals in eine ungeheuer aufgeblähte Finanzsphäre als scheinbar einzigem Ort, an welchem sich noch einigermaßen sichere Gewinne machen lassen, bis hin zur Rolle des Welthandels als Katalysator einer an Globalisierung ausgerichteter Standortrhetorik nationaler Politik im Interesse des Kapitals.

Auch wenn eine solche Argumentation nicht oft genug wiederholt werden kann, um den Blick für die großen Zusammenhänge in dieser Welt zu schärfen, so bot sie doch für Kenner der Kurzschen Argumentation nicht viel Neues. Widerspruch oder Nachfrage waren an diesem Abend zeitlich kaum möglich, da bereits die nächste Veranstaltung in den Raum drängte, kaum dass der Referent zum Ende gekommen war. Leider hatten die Organisatoren von Attac in der an diesem Abend übervollen Schaubühne auch nicht für die Möglichkeit zur Diskussion im kleinen Kreis gesorgt und so verlief sich nach und nach das noch diskussionshungrige Publikum, ohne dass es auf seine Kosten gekommen wäre. Schade.

Deshalb wenigstens ein paar schriftliche Anmerkungen. Das große Bild vom aktuellen Status quo, die Bedrohung durch die aufgeblähte Finanzsphäre, die absehbare Wirkung der krassen und weiter zunehmenden Überschuldung der USA auf die Wechselkurse und Devisenreserven und damit die Stabilität des globalen Bankensystems, die Rolle der Münteferingschen "Heuschrecken" bei der gnadenlosen "Kommodifizierung" - dem Auspressen auch der letzten aktuell erschließbaren Effizienzreserven, meist zu Lasten von Zukunftsfähigkeit -, all dies ist kaum ernsthaft in Zweifel zu ziehen.

Allerdings halte ich es für verfehlt, die heute ablaufenden Prozesse - wie der Referent an diesem Abend - allein aus der Sicht der Wertform zu beurteilen, da wichtige Nuancen aus dem Blickfeld geraten. So kann ich die These des Referenten nicht nachvollziehen, dass die großen Autokonzerne ihre strategischen Geschäftsfelder zunehmend in die Finanzsphäre verlagern. Schaut man sich BMW Leipzig vor Ort an - etwa im Rahmen der angebotenen Werksführungen - so wird schnell deutlich, dass es dort noch immer primär um Autos geht und Autobauen auch nicht auf den zweiten Plan gerückt ist. Es wird auch schnell deutlich, dass ein neues Werk wie BMW Leipzig kein "Klon des Stammwerks" ist, sondern sich die einzelnen Werke wie große Organismen entwickeln, deren unverwechselbare Identität aus der Vielzahl der speziellen Lösungen der großen und kleinen Alltagsprobleme erwächst. Wobei eine solche Identität mit der Zeit zu Reife und gelegentlich auch zu Verknöcherung führt, und wichtige neue Entwicklungen nicht in der Form aufgenommen werden können, wie dies aus (Autobauer)-Sicht des Gesamtunternehmens vielleicht wünschenswert wäre. In einem neuen Werk - und so war auch BMW Leipzig konzipiert - besteht allein die Möglichkeit, mit dem Rollout einen präzisierten Startpunkt zu setzen, welcher die gesammelten Erfahrungen aufnimmt und fortschreibt, etwa durch neue Hard- und Software, umstrukturierte Entscheidungsprozesse usw. Danach beginnt dieser neue Organismus genauso ein Eigenleben wie die "Stammwerke" und beginnt, seine eigene Melodie im Orchester der Werksstandorte zu spielen.

Es sind große Summen Geldes im Spiel, um sicherzustellen, dass BMW auch in einer jenseits unmittelbarer Return-on-Invest-Rechnungen liegenden Zukunft Autos besser und effizienter baut als seine Mitbewerber. Ein solches High-Tech-Werk braucht mehr denn je nicht nur hoch motivierte, sondern hoch kompetente Mitarbeiter - nicht zuletzt in vollkommen neuen Größenordnungen gut ausgebildetes ingenieur-technisches Personal mit einem guten Gefühl für die ablaufenden komplexen Prozesse und einem fast professoralen Weiterbildungsverhalten.

Die Zeit der monotonen Bandarbeit geht ihrem Ende entgegegen. Auch bei BMW rückt die nur in einem komplexen Sinne zu verstehende "Beherrschung der Macht der Agentien, die während der Arbeit in Bewegung gesetzt werden" (MEW 42, S. 592) in den Fokus. Die erforderliche Kompetenz und Spezialkenntnis ist sehr individuell und kaum in ein Kommandoverhältnis alter Provenienz zu pressen. Damit ist aber auch das Bild des Lohnarbeiters, welcher "bei der Arbeit außer sich und außer der Arbeit bei sich" ist, am Ende. Das Kapitalverhältnis wird damit nicht aufgehoben, cash flow und work flow jedoch ganz entscheidend entkoppelt. Eine seriöse Bewertung dieser Aspekte der heutigen Entwicklung steht im Rahmen des Kurzschen Oeuvres nach wie vor aus.