Steinert.2012-11-05

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Auszug aus meinem Text, den ich am 5.11. 2012 am Leipziger Haus des Buches gelesen hatte.

Das Thema hieß damals nach div. Randalen „Worte gegen Rechts“ und ich hatte nach dem ernüchternden Ergebnis des Klimagipfel von Rio dazu den Einstieg zum Thema über den Begriff Klima gewählt:

… Klar wollte ich da mitmachen bei „Worte gegen Rechts“. Denn was man da neuerdings hörte, das klang doch, als stünde jemand auf der Kommandobrücke und riefe runter in den Mschinenraum „Volk übernimm, wir schaffens nicht allein, wir haben uns wohl beim Klima im Lande verschätzt.“ Na gut, das Volk musste schon manches auslöffeln. Und so stehe ich nun auch mit euch hier. Die Sache mit dem Klima möchte ich aus meiner Sicht mal so erklären:

Einst, vor Jahren nach einer Bundestagswahl (1998), da geschah es: Obwohl allein im Zimmer, überzog eine Röte mein Gesicht, im Inneren machte sich ein Gefühl der Scham breit. Was war geschehen, vor wem und für was schämte ich mich plötzlich? So ganz allein in meinem Zimmer. Schaute ich doch bloß die Eröffnungsrede des Alterspräsidenten des neu gewählten Bundestages, was ich mir sonst wohl niemals angetan hätte. Doch in diesem Falle, bei diesem Redner, da war alles anders. Denn der da sprach, war nicht irgendwer, der mal zufällig der Älteste im Bundestag war und nur deshalb eine Rede zu halten hatte. Vielmehr sprach da eine Art von Ikone der Freiheit, Toleranz und Klugheit. Und ein Meister des Wortes war er noch dazu. Mehr noch, hatte der auch bis zur Wende die wichtige Rolle eines Hoffnungsträgers für so viele seiner unzufriedenen DDR-Mitbürger gespielt.

Immer noch im Ohr hatte ich dessen Worte vom 4. November `89 auf dem Berliner Alex, wenige Tage vor dem Mauerfall: „Es ist, als habe jemand das Fenster aufgestoßen und der Mief der letzten Jahrzehnte wurde vom Durchzug hinweg geweht“. Damals, wo er vor Hunderttausenden die damalige Aufbruchstimmung in solche und ähnliche Worte gegossen hatte. Und nun, Jahre später, derselbe Redner, nun jedoch vorm Bundestag. Und wieder fühlte es sich an, als streiche ein frischer Wind durch kalkverkrustetes Gemäuer und verbreite Aufbruchstimmung. Überparteilich, versöhnend, an alle gerichtet, zukunftsweisend. Doch was war da plötzlich geschehen, dass es bei mir Schamgefühl auslöste? Nur ein Teil des Bundestages quittierte die Rede Stephan Heyms, denn um keinen Geringeren hatte es sich gehandelt, wie erwartet, mit stürmischem Applaus. Ein anderer Teil jedoch, fast die Hälfte, und auffallend im rechten Flügel des Hohen Hauses sitzend, rührte keine Hand. Die saßen, außer Rita Süßmuth, betreten da wie die Stockfische. Manche mit trotzigen, viele mit verkniffenen Gesichtern.

Was hatte der Heym da bloß falsch gemacht?

Richtig! Er war zwar in gar keiner Partei, hatte aber für eine kandidiert, die offensichtlich für jene „Stockfisch-Demokraten“ die falsche war. Und das musste man diesem Heym natürlich zeigen. Und all jenen, denen bei dessen Rede das Herz aufgegangen war, ebenfalls. Von Deutungshoheit, die man sich nicht nehmen lasse und von Fraktionsdisziplin, die man demonstrieren müsse, wurde da gefaselt.

Was für ein Klima von Ausgrenzung und Verbohrtheit? Ein dumpf-feuchtes Klima, das zur Austrocknung sumpfiger Winkel kaum geeignet ist. ...

Manfred Steinert, 05.11.2012