HGG.Pechmann

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  • Alexander von Pechmann. Wertsubstanz und Wertformen. Ein logisch-philosophischer Beitrag zur Neuen Marx-Lektüre. Z 95, S. 105-114.

25.12.2013

Sehr geehrter Herr von Pechmann,

ich habe gerade mit Interesse Ihre Ausführungen zur Wertsubstanz im Heft 95 von Z gelesen. Im von Ihnen entwickelten Begriffsverständnis müssten Sie zu einer ähnlichen Position wie Peter Ruben kommen, der Marx die Sicht

Es ist also der Austausch unter den Bedingungen des persönlichen Privateigentums für Marx a priori nichts als aufgehobener Raub,

unterstellt und diese scharf kritisiert, siehe etwa seinen Text "Was bleibt von Marx’ ökonomischer Theorie?".

Wie entwickeln Sie die Rolle des Unternehmers, welchen Beitrag leistet dessen Form der "Einzelarbeit monadischen Charakters", der ja - für mich - zweifellos ebenfalls "Verausgabung derselben menschlichen Arbeitskraft" ist? Und zwar selbst beim letzten Börsenspekulanten, der - auf Ihrer (Substanz)-Ebene gemeinschaftlicher Arbeit - durch die damit einhergehende Steuerungswirkung auf letztlich produktions-organisatorischer Ebene wirksam wird. Vom Arbeiter (als "Charaktermaske") unterscheidet ihn allein, dass er zusätzlich in der Rolle des Eigentümers (oder vielleicht auch nur Besitzers) zur Reproduktion dieser Wertsubstanz beiträgt. Wobei mir allerdings auch nicht klar ist, wie Sie einen Begriff von "Reproduktion" dieser Substanz fassen (wenn sie "verausgabt" wird, muss sie sich ja auch irgendwie "erneuern").

Mit freundlichen Grüßen,
Hans-Gert Gräbe

28.12.2013

Sehr geehrter Herr Graebe,

was ich in meinem Beitrag getan habe, war nur ein Beitrag zu der "marxologischen Debatte" um die sog. Wertsubstanz", mit der Marx im "Kapital" anfängt. Ich kann und will Ihnen hier daher nur "mit Marx" antworten.

Marx geht es zunächst um die Behauptung, dass die Quelle, der Ursprung oder, wie man das nennen will, des Werts der Waren die Arbeit ist, und zwar die Arbeit, die zur Herstellung dieser jeweiligen Ware im gesellschaftlichen Durchschnitt notwendig ist. Wenn an dieser Herstellung auch der Unternehmer mitwirkt, indem er auch an der Maschine steht oder die Drähte zusammenlötet etc., dann leistet er natürlich ebenfalls einen wertbildenden Beitrag.

Anders verhält es sich, zumindest in Marx' Sichtweise, wenn er die Arbeit bzw. die Arbeiter kontrolliert. Hier müsste man unterscheiden zwischen organisatorischen Funktionen, die aus dem Arbeitsprozess selbst resultieren, und zwischen Kontrollfunktionen, die aus dem kapitalistischen Charakter der Arbeit stammen. Dieser resulktiert nach Marx ja daraus, dass der Kapitalist die Ware Arbeitskraft vom Arbeiter (gegen Lohn) gekauft hat, um sie im Arbeitsprozess für seinen Zweck der Kapitalverwertung zu nutzen; er muss also darauf aufpassen, dass der Arbeiter fleißig, zügig und ohne Unterbrechungen arbeitet. Dies geht für Marx nicht in die Wertbildung ein.

Ähnlich gilt, wenn der Unternehmer sich um den Einkauf oder den Verkauf sorgt: leistet er gesellschaftlich notwendige Arbeit, geht sie in den Warenwert ein; drückt er jedoch etwa aus Gründen der Konkurrenz die Einkaufs- oder Verkaufspreise, um selbst möglichst viel Profit zu machen, dann geht dies nicht in die Wertbildung ein. Verbringt er schließlich seine Zeit auf Mallorca oder auf seinem Pferdegestüt und lässt die Arbeit von seinen Angestellten machen, dann mag er sich dabei auch noch so sehr anstrengen, seine Arbeit schafft keinen Wert.

Ähnlich verhält es sich aus Marx' Sicht mit dem Börsianer, der mit Werten, die ihm nicht einmal gehören, zockt; dann mag er am Abend noch so schweißgebadet die Börse verlassen; aber was für ein Produkt soll er während des Tages hergestellt haben?

Was schließlich Ihre Frage nach der Reproduktion angeht, so ist es in Marx' Sinne wichtig, die Arbeitskraft von der Arbeit zu unterscheiden. Für ihn ist die Arbeit die Wertsubstanz; die Arbeit selbst aber ist nicht Verausgabung von Arbeit, sondern von Arbeitskraft; und diese, die Arbeitskraft, muss, weil sie verausgabt wurde, zum Leidwesen der Kapitalisten in der arbeitsfreien Zeit der Erholung und Rekreation wieder hergestellt werden. Dazu braucht der Arbeiter Freizeit und Lohn. Dem Kapitalisten ist es daher am liebsten, er kann die Arbeitskraft des Arbeiters durch Maschinen ersetzen, die keine Freizeit und keinen Lohn verlangen. Allerdings weist Marx dabei auf den Widerspruch hin, dass einerseits nur die Arbeit Wert schafft, Maschinen aber nicht; dass anderseits der Kapitalist darauf sieht, die Arbeit, wenn irgend möglich, durch Maschinen zu ersetzen. Er leitet daraus den berühmten und umstrittenen "Fall der Profitrate" ab.

Ich weiß nicht, ob ich Ihre Fragen damit hinreichend beantwortet habe. Ich meine jedenfalls, statt alles in einen Topf zu schmeissen, lohnt es sich zu differenzieren.

mit freundlichem Gruß
Alexander von Pechmann

28.12.2013

Sehr geehrter Herr von Pechmann,

vielen Dank für die freundliche Einführung in die Marxsche Gedankenwelt (genauer: eine spezielle Interpretation derselben). Bitte gehen Sie davon aus, dass ich mit ein paar Debatten hinreichend vertraut bin ... und mich auch nicht für eine reine Marxexegese interessiere. Sie hatten Spinoza ins Gespräch gebracht und ich hatte meine Frage mit einem klaren Verweis auf einen Diskurs verbunden, auf den Sie in keiner Weise Bezug nehmen.

Ich darf also noch einmal kompakt zu Ihren Ausführungen

Hier müsste man unterscheiden zwischen organisatorischen Funktionen, die aus dem Arbeitsprozess selbst resultieren, und zwischen Kontrollfunktionen, die aus dem kapitalistischen Charakter der Arbeit stammen. ... Er muss also darauf aufpassen, dass der Arbeiter fleißig, zügig und ohne Unterbrechungen arbeitet. Dies geht für Marx nicht in die Wertbildung ein.

Stellung nehmen: In der Tat, dies ist eine traditionsmarxistische Lesart, allerdings ist das (nicht nur) für mich ein sehr schwacher Punkt bei Marx und passt nach meinem Verständnis auch nicht mit einem Wertsubstanzbegriff im spinozistischen Sinne zusammen, weil die produktionsorganisatorische Funktion des Unternehmers (die Kontroll- und Dirigierfunktion eingeschlossen, die sich nach meinem Verständnis in keiner Weise sinnvoll von anderen produktionsorganisatorischen Funktionen abgrenzen lässt) selbstverständlich Arbeit in Ihrem Sinne ist (es sein denn, Sie haben einen sehr spannenden Arbeitsbegriff, in dem diese Leistung von der berühmten "unsichtbaren Hand" unmittelbar vollbracht wird).

Bitte klären Sie mich auch nicht über die trinitarische Formel auf, dass also die drei Faktoren "Arbeit", "Kapital" und "Boden" zusammentreffen müssten. Für eine reale Produktion in einem realen gesellschaftlichen Umfeld (z.B. einem kapitalistischen) müssen noch viele andere Faktoren (z.B. "Wissen") zusammentreffen, allein wie Sie dort ggf. einen Wertsubstanzbegriff im spinozistischen Sinne einpassen, das würde mich dann schon interessieren.

Dass der Unternehmer (oder auch nur der "fungierende Kapitalist", Marx unterscheidet das ja in seinen "Charaktermasken" deutlich voneinander) hierbei über etwas von dieser ominösen Substanz verfügt, und zwar in der Form von Kapital, darüber sind wir uns sicher einig. Über all das kann man aber erst sprechen, wenn man einen hinreichend tragfähigen Begriff von jener "Substanz" selbst entwickelt hat.

Da halte es denn doch mit dem Altmeister, der seine Jünger noch in seinen letzten Lebensjahren wie folgt korrigierte (zwei Jahre vor seinem Tod in Randglossen zu A. Wagners "Lehrbuch der politischen Ökonomie")

... ist in meiner Darstellung in der Tat auch der Kapitalgewinn nicht "nur ein Abzug oder 'Raub' am Arbeiter" [wie Wagner behauptet]. Ich stelle umgekehrt den Kapitalist als notwendigen Funktionär der kapitalistischen Produktion dar und zeige ..., daß er nicht nur "abzieht" oder "raubt", sondern die Produktion des Mehrwerts erzwingt, also das Abzuziehende erst schaffen hilft ... (MEW 19, S. 359)

Zum Thema Arbeit, Arbeitskraft, Arbeitsvermögen usw. finden Sie bei Peter Ruben genug, und dass das mit Maschinen und Abschreibungen nicht auf die übersimplifizierte Weise wie von Ihnen angedeutet funktioniert, wissen Sie sicher selbst gut genug oder können es in einem beliebigen Lehrbuch der BWL nachlesen.

Mit freundlichen Grüßen,
Hans-Gert Gräbe