HGG.Kommunismusthesen: Unterschied zwischen den Versionen

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== Einige Anmerkungen zu den Notizen zu Thesen über Kommunismus von Roger Behrens von Ulrich Weiß ==
== Einige Anmerkungen zu den Notizen zu Thesen über Kommunismus von Roger Behrens von Ulrich Weiß ==


Quelle: http://wadk.de/2011/notizen-zu-thesen-uber-kommunismus-von-roger-behrens
Quelle: http://wadk.de/2011/notizen-zu-thesen-uber-kommunismus-von-roger-behrens


Hallo Uli, du schreibst
:Der junge Marx ging davon aus, dass die bürgerliche Gesellschaft etwa in England und Frankreich bereits in Fäulnis übergegangen und dass der Kommunismus das „für die nächste geschichtliche Entwicklung notwendige Moment der menschlichen Emanzipation …, die notwendige Gestalt und das energische Prinzip der nächsten Zukunft“ sei. Einen solchen historischen Standort vorausgesetzt sind folgende Annahmen logisch zwingend: Jedes Denken, das sich bemüht Gesellschaft zu verstehen, muss notwendig ein kommunistisches sein. Wissenschaft und Kommunismus als Theorie fielen zusammen. Auch jede Praxis, insofern sie des wissenschaftlichen Denkens bedürfte, wäre eine kommunistische oder sie wäre nichts.
Es scheint ja ein Spezifikum der kapitalistischen Gesellschaft zu sein, dauern "faulend" und zugleich voller neuer Potenzen zu sein. Die von Marx erkannte Notwendigkeit dieser Gesellschaft, ihre eigenen Bewegungsformen dauernd umzuwälzen, muss ich sicher nicht weiter erläutern. Wäre es aber an dieser Stelle dann nicht angezeigt, etwas mehr Dialektik beizumischen und auch das "Denken, das sich bemüht Gesellschaft zu verstehen" als Entfaltung eines solchen dialektischen Widerspruchs zu konzipieren? Wäre dann aber das kommunistische Element vielleicht nur die Denkform einer überschüssigen Utopie im Heute, eines noch nicht Entfalteten, eines Noch-Nicht im Blochschen Sinne? In einem solchen Denkmuster müsste Marx heute genauso als "utopischer Sozialist" wahrgenommen werden wie dieser seine Vorläufer wahrgenommen hat.
In diesem Sinne gibt es keine kommunistische Praxis, denn sie wäre immer einseitig. Und Behrends' Thesen wären um eine These 0 zu ergänzen: Kommunismus ist nur ohne Kommunisten möglich.
Siehe dazu auch HDS im ND vom 7.4. und das dort abgedruckte Zwerenz-Zitat (verkürzt: "Für Antikommunisten bin ich Kommunist und für Kommunisten Antikommunist – und habe meinen Bloch also verstanden") oder Michael Wendls "Vom Elend des Traditionssozialismus" im Sozialismus 2/2011.


:Die tiefe innere Zerrissenheit der spätbürgerlichen Individuen ist also in ihren realen sozialen Bezügen zu begreifen. Hinsichtlich des kapitalistisch bestimmten Denkens und Handelns, denen unvermeidbar alle Individuen der bürgerlichen Gesellschaft gerecht werden müssen, ist (oder scheint) es klar, worauf dies bezogen ist, woraus es erwächst: Es ist der absolute Zwang, sich als Ware zu bewähren, sich in Wert zu setzen, und alle damit verbundenen Existenznotwendigkeiten der Menschen innerhalb dieser Gesellschaft. <<
:Die tiefe innere Zerrissenheit der spätbürgerlichen Individuen ist also in ihren realen sozialen Bezügen zu begreifen. Hinsichtlich des kapitalistisch bestimmten Denkens und Handelns, denen unvermeidbar alle Individuen der bürgerlichen Gesellschaft gerecht werden müssen, ist (oder scheint) es klar, worauf dies bezogen ist, woraus es erwächst: Es ist der absolute Zwang, sich als Ware zu bewähren, sich in Wert zu setzen, und alle damit verbundenen Existenznotwendigkeiten der Menschen innerhalb dieser Gesellschaft. <<

Version vom 10. April 2011, 17:27 Uhr

Einige Anmerkungen zu den Notizen zu Thesen über Kommunismus von Roger Behrens von Ulrich Weiß

Quelle: http://wadk.de/2011/notizen-zu-thesen-uber-kommunismus-von-roger-behrens

Hallo Uli, du schreibst

Der junge Marx ging davon aus, dass die bürgerliche Gesellschaft etwa in England und Frankreich bereits in Fäulnis übergegangen und dass der Kommunismus das „für die nächste geschichtliche Entwicklung notwendige Moment der menschlichen Emanzipation …, die notwendige Gestalt und das energische Prinzip der nächsten Zukunft“ sei. Einen solchen historischen Standort vorausgesetzt sind folgende Annahmen logisch zwingend: Jedes Denken, das sich bemüht Gesellschaft zu verstehen, muss notwendig ein kommunistisches sein. Wissenschaft und Kommunismus als Theorie fielen zusammen. Auch jede Praxis, insofern sie des wissenschaftlichen Denkens bedürfte, wäre eine kommunistische oder sie wäre nichts.

Es scheint ja ein Spezifikum der kapitalistischen Gesellschaft zu sein, dauern "faulend" und zugleich voller neuer Potenzen zu sein. Die von Marx erkannte Notwendigkeit dieser Gesellschaft, ihre eigenen Bewegungsformen dauernd umzuwälzen, muss ich sicher nicht weiter erläutern. Wäre es aber an dieser Stelle dann nicht angezeigt, etwas mehr Dialektik beizumischen und auch das "Denken, das sich bemüht Gesellschaft zu verstehen" als Entfaltung eines solchen dialektischen Widerspruchs zu konzipieren? Wäre dann aber das kommunistische Element vielleicht nur die Denkform einer überschüssigen Utopie im Heute, eines noch nicht Entfalteten, eines Noch-Nicht im Blochschen Sinne? In einem solchen Denkmuster müsste Marx heute genauso als "utopischer Sozialist" wahrgenommen werden wie dieser seine Vorläufer wahrgenommen hat.

In diesem Sinne gibt es keine kommunistische Praxis, denn sie wäre immer einseitig. Und Behrends' Thesen wären um eine These 0 zu ergänzen: Kommunismus ist nur ohne Kommunisten möglich.

Siehe dazu auch HDS im ND vom 7.4. und das dort abgedruckte Zwerenz-Zitat (verkürzt: "Für Antikommunisten bin ich Kommunist und für Kommunisten Antikommunist – und habe meinen Bloch also verstanden") oder Michael Wendls "Vom Elend des Traditionssozialismus" im Sozialismus 2/2011.

Die tiefe innere Zerrissenheit der spätbürgerlichen Individuen ist also in ihren realen sozialen Bezügen zu begreifen. Hinsichtlich des kapitalistisch bestimmten Denkens und Handelns, denen unvermeidbar alle Individuen der bürgerlichen Gesellschaft gerecht werden müssen, ist (oder scheint) es klar, worauf dies bezogen ist, woraus es erwächst: Es ist der absolute Zwang, sich als Ware zu bewähren, sich in Wert zu setzen, und alle damit verbundenen Existenznotwendigkeiten der Menschen innerhalb dieser Gesellschaft. <<

Nein, die tiefe innere Zerrissenheit rührt vom Zwang her, im Bedürfnis zugleich die nachhaltige Reproduktion der Bedingungen seiner Erfüllbarkeit in einer arbeitsteilig hochgradig fragmentierten Gesellschaft mitzudenken. Der "Zwang, sich als Ware zu bewähren" ist nur dessen Ausdruck, den die Geldform - und das ist deren kulturelle Leistung - wenigstens rudimentär leistet. Keiner der bisherigen Kommunismen, der theoretischen wie praktischen, hat hier auch nur ansatzweise logisch nachvollziehbar Konzeptionelles vorzuweisen. Die komplexe Eigendynamik der Geldform wird erst in deren genauerem Studium sichtbar, das kann ich nach mehreren Jahren eigener Lektüre in dieser Richtung mit Bestimmtheit sagen. Die traditionsmarxistischen Mantras werden dieser Komplexität nicht ansatzweise gerecht.

Bilderverbot - In solcher historisch-konkreten Art kann das Bilderverbot aufgehoben werden.

Die religiöse Qualität der törichten Annahme, man könne unter Ausschaltung des Denkens in Bildern als einer der wichtigsten Kreativtechniken Zukunft besser denken, ist mit Händen zu greifen. Es wäre also eher spannend, nach den Quellen dieser Religiosität zu suchen, warum auch du hier den Pfaffen gibst und darüber mit anderen Pfaffen verhandelst, unter welchen Bedingungen du bereit bist, durch Galileos Fernrohr zu schauen (um es mal selbst in einem Bild auszudrücken). Marx hätte dafür sicher nur Hohn und Spott übrig gehabt. Verweis nicht zuletzt auf Michael Wendls Beitrag "Das Elend des Traditionssozialismus" mit immerhin einem ganzen Abschnitt "Sozialismus als Religion?" im Sozialismus 2/2011.

Wo Bloch, Adorno und Brecht noch zu Recht nur konstatieren konnten, „Etwas fehlt“, ist heute Etwas da. Wir sind nicht (mehr) zu einem begriffs- und anschauungslosen Sollen verdammt. Auf der Grundlage der von der kapitalistischen Gesellschaft hervorgebrachten materiellen und geistigen Voraussetzungen entwickeln sich inzwischen potentiell kommunistische Praxen. Die Theorie des Kommunismus wird damit zu dem, was sie in Bezug auf die Arbeiterbewegung und den Real-“Sozialismus“ nicht sein konnte – zur Selbstkritik dieser Praxen als einer wirklichen Bewegungen des Aufhebens kapitalistischer Zustände. Deren Akteure – und in Bezug darauf eine zunehmende Öffentlichkeit – kämen damit zum Bewusstsein der in diesem Tun steckenden geschichtlichen Möglichkeiten. Ein Engagement in solchem „Etwas“ und für dessen Förderung wird damit zu bewussten positiv-gestaltenden Tat.

Was aber, wenn auch das nur einen "Kapitalismus, wie wir ihn noch nicht kennen" einläutet? Wärst du enttäuscht, wenn sich die anscheinend "wirklichen Bewegungen des Aufhebens kapitalistischer Zustände" ein weiteres Mal als Transformation innerhalb dieser "Gesellschaftsformation" (du scheinst mit dem Begriff noch sehr viel anfangen zu können) erweisen? Wenn wir "nur" dem Kommunismus (was das auch immer ist) eine Transformation näher gerückt wären? Eine Transformation in einer vielleicht ja sogar potenziell unendlichen Kette von Transformationen?

In der Guttenberg-Affäre erscheint meines Erachtens eine innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft nicht mehr heilbare innere Spaltung von Persönlichkeiten in je einen praktisch-politisch bzw. ökonomisch (die Verwertung von Welt sichernden) zweckmäßig handelnden und in einen davon völlig getrennten Menschen mit dem Anspruch Wissenschaft zu fördern oder auch nur zu erhalten, vernünftig im Sinne der Allgemeinheit oder auch nur der nachhaltigen Existenz zu denken und zu handeln. Diese Schizophrenie, die zunehmend alle bürgerlichen Individuen durchzieht, findet, nicht nur was die Guttenberg-Geschichte betrifft, eine auch äußerliche Entsprechung: Spaltung der Bevölkerung in einen kleineren Teil, der die Ansprüche und damit die Existenz wissenschaftlichen Denkens und wissenschaftlicher Institutionen verteidigt, und einen größeren, der im Konfliktfalle bereit ist, die gesamte bürgerliche Aufklärung aufzugeben. <<

Diese Auseinandersetzung zwischen der "Macht des Geldes" und der "Macht des Wissens" habe ich seit vielen Jahren thematisiert. Die Diagnose "Schizophrenie" für gesellschaftliche Verhältnisse sollte einem Dialektiker eigentlich sofort Anlass geben, klare Denkmuster in Stellung zu bringen.

... da über die Produktion des gesellschaftlichen Reichtums nicht mehr die Masse der verausgabten Arbeitszeit bestimmt, sondern die wissenschaftlichen, künstlerischen, unmittelbar kooperativen Fähigkeiten der unmittelbaren Produzenten, die aus dem unmittelbaren Fertigungsprozess heraustretend Funktionen des Planens, des Dirigierens, des Kontrollierens der Produktion übernehmen müssen. Von diesem Punkt an wird eine auf die Verwertung von Wert gegründete Produktion zur miserablen Grundlage der Gesellschaft. Damit erst – so weiß also Marx inzwischen – wird die kapitalistische Produktionsweise aufhebbar. Karl Marx, Grundrissen zur Kritik der Politischen Ökonomie. MEW 42/600ff.

Diese auch von mir lange zitierte Textstelle ist natürlich eine reine Spekulation aus einem eher frühen ökonomischen Werk des Meisters. Ich überschaue nicht, ob er das später auch noch so deutlich behauptet hat (und das wird wohl auch erst mit dem Studium der Exzerpte und Entwürfe für Band 2 und 3 Kapital der gerade veröffentlichten MEGA-Bände fundiert zu beantworten sein). Allerdings habe ich inzwischen große Zweifel an dieser These, weil mir vollkommen unklar ist, zu welchen Transformationen die Geldform selbst innerhalb dieser historischen Formation fähig ist. Ich greife hier deinen Denkansatz der Formation auf, denn ich selbst bin seit vielen Jahren überzeugt, dass der Kapitalismus die pubertäre Form der Freien Gesellschaft ist und die Phänomene, die du im Auge hast, Ausdruck pubertärer Verwerfungen sind. Für die hier verhandelten Fragen ist diese Differenz aber unerheblich.