WAK.MB-Debatte.7-08-MM

Aus LeipzigWiki
Zur Navigation springenZur Suche springen
Die druckbare Version wird nicht mehr unterstützt und kann Darstellungsfehler aufweisen. Bitte aktualisiere deine Browser-Lesezeichen und verwende stattdessen die Standard-Druckfunktion des Browsers.

Home Hauptseite / WAK / WAK.AG-Diskurs / WAK.MB-Debatte

Beitrag aus dem Mitteilungsblatt 7+8-2008 des Stadtverbands der Linkspartei

Sozialratschlag für Leipzig – für einen Wandel in der Sozialpolitik

Armut ist in diesem Land schon lange keine Unbekannte mehr. Die von der Regierung Schröder/Fischer im Rahmen der „Agenda 2010“ eingeführten Hartz-Gesetze haben die Verarmung allerdings massiv vorangetrieben. Das müsste selbst nun auch die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD zugeben, die ihr Werk fortsetzt. Dem jüngsten Armutsbericht des Bundessozialministers Scholz (SPD) zufolge ist „jeder achte Deutsche von Armut bedroht, die Schere zwischen Arm und Reich hat sich weiter geöffnet“ (FAZ 20.05.2008). Besonders hoch sei die „Armutsrisikoquote“ bei Langzeitarbeitslosen (43%) und Alleinerziehenden mit Kindern (48%). Nach der international üblichen Definition gilt als arm, wer weniger als 60% des mittleren Einkommens bezieht. Bei Alleinstehenden sind das (laut Bundesregierung!) derzeit 781 Euro netto. Leipzig gilt jetzt schon sei langem als sächsische Armutshauptstadt des Freistaates. Neben nahezu 100.000 ALG-II–Empfängern, welche in Bedarfsgemeinschaften leben, kommen noch Berufstätige hinzu, bei denen der mickrige Lohn nicht zum Leben ausreicht - die sog. „Working Poor“.

Die Ablehnung eines Mindestlohns durch die Arbeitgeber ist nach kapitalistischer Logik nachvollziehbar. Je geringer der Lohn, umso höher der Profit sog. „Arbeitgeber“. „In diesen Tagen schütten die 30 im wichtigsten deutschen Aktienindex enthaltenen Gesellschaften insgesamt 27,2 Milliarden Euro aus“, verkündete die FAZ vom 26.04.2008 zufrieden. Genug Geld für höhere Löhne und Sozialleistungen sind also vorhanden. Es muss nur umverteilt werden. Notwendig sind deshalb ein Mindestlohn von mindestens 10 Euro die Stunde inklusive eines kontinuierlichen Inflationsausgleichs. Zugleich müssen die Hartz-Gesetze abgeschafft und der Regelsatz für Erwerbslose auf mindestens 500 Euro (plus Miete) angehoben werden.

Warum muss ein Sozialratschlag stattfinden?

Wirklich Druck machen ließe sich durch eine Verbindung der laufenden Tarifrunden im Einzelhandel, im Wachgewerbe etc. mit dem Widerstand der Erwerbslosen gegen den täglichen Hartz-IV-Terror. Über LIDL hinaus müssen dabei Unternehmen, die Lohn- und Sozialdumping betreiben, öffentlich angeprangert und Protestaktionen organisiert werden. Dazu zählen selbstverständlich auch und gerade die Profiteure der Ein-Euro-Job-Wirtschaft wie AWO, Caritas, Rotes Kreuz, Diakonie etc. Um wirklich etwas zu erreichen, sind Erzwingungsstreiks und Aktionen zivilen Ungehorsams unumgänglich. Um nicht nur Zeit mit Unterschriftensammlungen zu investieren, sollten gemeinsame zentrale Demonstrationen von Billiglöhnern und Erwerbslosen das Ziel sein, denn Sozialpartnerschaft mit der Arbeitgeberseite bringt den arbeitenden Menschen keinen Lohn, von dem man tatsächlich leben kann. Der Öffentlichkeit muss klar gemacht werden, dass Armut keine individuelle Unzulänglichkeit ist, sondern ein gesellschaftliches Verhältnis und politischer Verantwortungslosigkeit. Es ist auch kein Problem kollektiver „Überflüssigkeit“ sozialer Gruppen. Armut ist ein gesellschaftliches Verhältnis und ist systembedingt. Die aktuellen Armutsprozesse werden durch neoliberale Globalisierung geformt und zugespitzt.

Der Sozialratschlag muss aufzeigen was Sozialpolitik erbringen muss: Eine gerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums ist die Voraussetzung für die im Grundgesetz verbriefte Teilnahme Aller am gesellschaftlichen Leben. Die Forderungen der Betroffenen gilt es öffentlichkeitswirksam zu artikulieren und einen Forderungsdruck zu erzwingen. Für die LINKE darf es keine Sozialpolitik nach Kassenlage sowie keine vorauseilende Genügsamkeit in sozialen Fragen geben. Resultierende Erstforderungen für die Betroffenen müssen sein:

  • Senkung und Erstattung von Strom- und Energiepreisen,
  • kostenlose KITA/KK-Plätze,
  • kostenloser Zugang zur Bildung/Ausbildung,
  • Sicherung/Bedarfssicherung von SchülerInnen, Studierenden, Auszubildenden,
  • Beihilfen zu verschiedenen selbstverständlichen und besonderen Lebenslagen, die für Hartz IV-Empfänger nicht mehr finanzierbar sind Feiertage, Jubiläen, Geburt, Todesfälle, etc.)
  • Eindeutige Position gegen Hartz IV und Agenda 2010
  • Demokratisierung wirtschaftspolitischer Prozesse
  • Bildung, gemeinsames Lernen bis zur 8. Klasse, Kosten der Schülerbeförderung,
  • kostenloses Mittagessen, Lehr- und Lernmittelfreiheit
  • Erhöhung der Regelsätze auf 500 Euro
  • Eigenständiger Regelsatz für Kinder und Jugendliche
  • Keine Privatisierung von Bildung, Bild der Schule 2010
  • Anrechnungsfreie Grundsicherung der Kinder,
  • Gegen Ausgrenzung von Hartz IV Empfängern („man hetzt die, die wenig haben auf die, die gar nichts haben“)

Im Grunde geht es manchen Linken darum, mangelnde Radikalität des Denkens und Handelns zu bemänteln und durch angebliche Sachzwänge zu entschuldigen. (Frage der Finanzierbarkeit) Es sind aber (neue) altbekannte Formen der Radikalität auf unserer Seite notwendig, angesichts von Demokratieabbau, sozialer Unsicherheit und Grundrechtseinschränkungen. In der heutigen gesellschaftlichen Situation auf die eventuelle Abschaffung der Hartz-Gesetze zu warten und die politische Praxis am Medienecho und an den zustimmenden Reaktionen der anderen Parlamentsfraktionen ausrichten zu wollen, ist irrational oder Massenbetrug. Die Verhinderung der menschlichen Verelendung ist vordringliche Aufgabe. Das muss mit allen Mitteln (auch ungewohnten und noch nicht erprobten) angegangen werden. Dazu gehören insbesondere außerparlamentarische Initiativen sowie die Ausschöpfung aller parlamentarischen Instrumente auf mutige Weise. Es ist notwendig, über die Beschreibung von Armut hinaus aus den gewonnenen Erkenntnissen eine Strategie der politischen Veränderungen für benachteilige Bevölkerungsgruppen zu entwickeln.

Maximilian Meurer