WAK.Konsenskultur.attac

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Text: Kurt Haymann; Fassung 2005-09-27


Über Konsenskultur und Konsensentscheidungen bei Attac

Vorbemerkung

Dieser Text ist der Versuch, die bei Attac gepflegte Konsenskultur und ihre konkrete Ausformung - die Konsensfindung und –entscheidung - in ihren wichtigsten Elementen zu beschreiben. Anlass dafür war unsere Diskussion auf der letzten Kokreissitzung (19.09.05) sowie der dort gefasste Beschluss, uns auf dem nächsten Plenum ausführlicher mit dem Thema zu befassen.

Der Text erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit.

Der Text ist nicht ausschließlich „auf meinem Mist gewachsen“. Vielmehr habe ich mir Anleihen aus verschiedenen Texten geholt, die, meistens unter www.attac.de, im netz zu finden sind. Ich beanspruche daher auch keinerlei Urheberschaft an dem Text. Da ich aber eine Vielzahl von Texten benutzt und diese zum Teil erheblich verändert habe, spare ich mir die Quellenverweise.


Warum Konsens

Alle inhaltlichen1) (politischen) Entscheidungen werden bei Attac grundsätzlich im Konsens herbeigeführt. Das ist bundesweite BESCHLUSSLAGE und dementsprechend sind auch einzelnen Gliederungen von Attac NICHT BEFUGT, von diesem Verfahren abzuweichen.

Das Konsensverfahren ist für uns aus vielerlei Gründen sehr wichtig:

a. Attac ist ein breites Bündnis, in dem sehr unterschiedliche Personen und Organisationen gleichberechtigt zusammenarbeiten. Dies gilt uneingeschränkt sowohl für die Bundesebene (Ratschläge2), Attac-Rat, Koordinierungskreis, bundesweite AGen), als auch für die lokalen Gliederungen. Konsensentscheidungen gewährleisten, dass wir bei unseren Entscheidungen nicht einzelne Mitglieder und insbesondere Mitgliedsorganisationen „hinten runter“ fallen lassen.

b. Konsens erhöht die Motivation, gemeinsam beschlossene Aktivitäten auch gemeinsam in die Praxis umzusetzen. Damit wird das Potential von Attac viel besser ausgeschöpft. Bei 51% : 49%-Mehrheitsentsentscheidungen wird die 49%-Minderheit (das zeigen die Erfahrungen z. B. bei politischen Parteien) sich sicher nicht sehr engagiert – wenn überhaupt – für die gemeinsame Politik einsetzen.

c. Konsens macht Fraktionsbildung in Entscheidungsgremien weitestgehend überflüssig, da das Verfahren die machtpolitische Bearbeitung von Meinungsverschiedenheiten praktisch ausschließt. Dadurch können solche Gremien viel einfacher und effizienter nach inhaltlichen Kriterien zusammengestellt werden.


Das Verfahren

Auch wenn das Verfahren zur Konsensfindung bei Attac in den Grundzügen festgelegt ist, bedarf es in vielen Fällen der Modifikation und Anpassung dieser Grundregeln an die jeweiligen Gegebenheiten. Ein in den meisten Fällen außerordentlich wichtiger Faktor bei der Gestaltung eines Konsensfindungsprozesses ist (so banal das auch erscheinen mag) eine gut vorbereitete Moderation (M).

In der ersten Stufe der Konsensfindung wird der zu beschließende Gegenstand, z. B. ein Positionspapier, die Entscheidung über die Beteiligung an einem Bündnis, ein Arbeitsschwerpunkt usw. (der Einfachheit halber nenne ich ihn zukünftig „Antrag“), vorgestellt und beraten/diskutiert. Dabei ist es Aufgabe der M, nach einer angemessenen Zeit der Aussprache, Übereinstimmungen und Dissense jeweils zu bündeln und festzuhalten.

Die zweite Stufe ist den Dissensen gewidmet. Damit das jeweilige Gremium einen Überblick von den „Kräfteverhältnissen der Überzeugungen“ erhalten kann, empfiehlt es sich zu Beginn dieser Phase oft ein Meinungsbild zu erstellen. (Dabei ist wichtig: ein Meinungsbild ist immer eine UNVERBINDLICHE Orientierungshilfe. Es ersetzt auf keinen Fall die verbindliche Entscheidung über den zu beschließenden Antrag. Allerdings gilt natürlich auch: falls ein Meinungsbild bereits einen Konsens dokumentiert (also KEINE GEGENSTIMME vorhanden ist), kann unmittelbar nach Erstellung des Meinungsbildes über den Antrag entschieden werden. Ein Meinungsbild sollte im übrigen immer dann erstellt werden, wenn jemand aus der Versammlung dies wünscht.) In einer auf die Dissense konzentrierten Diskussion besteht die Aufgabe des Beschlussgremiums nun darin, kompromissfähige Positionen für die strittigen Punkte zu suchen (und möglichst auch zu finden). Die Erfahrung zeigt, dass dies in den meisten Fällen gelingt.3)

Falls nicht, wird in der dritten Stufe eine sog. „Konsensfindungsgruppe“ eingesetzt. Diese besteht aus den „exponierten“ VertreterInnen der kontroversen Positionen (jeweils eine/r oder mehrere) sowie wiederum einer M. Aufgabe dieser Gruppe ist es, innerhalb einer vorgegebenen Zeit4), dem Entscheidungsgremium einen Kompromissvorschlag zur Beschlussfassung vorzulegen. Gelingt dies, wird einem Konsensbeschluss nichts im Wege stehen.

Falls nicht, kann in einer vierten Stufe der Prozess der dritten Stufe, ggfs. in einem erweiterten Personenkreis und mit mehr Zeit, wiederholt werden. In der letzten Stufe wird über den Antrag entschieden. Dabei gibt es für jede/n einzelne/n Beteiligte/n prinzipiell vier Möglichkeiten, über einen Antrag zu beschließen:

a) Zustimmung zu dem Antrag

b) Enthaltung (z. B. „ich kenne mich in dem Thema zu wenig aus ...“)

c) (erhebliche) Bedenken (z.B. „ich bin zwar gegen diesen Beschluss, finde ihn aber nicht so elementar wichtig, dass ich ihn verhindern will/muss, wenn alle anderen dafür sind.“5)

d) VETO. („Diesen Beschluss kann ich auf keinen Fall mittragen, ich lege mein Veto ein.“)

Es gilt, ein Antrag gilt dann als angenommen, wenn es dagegen kein VETO gibt.


Konsenskultur

(in aller Kürze; ich mache gerne ein Seminar darüber)

Für die meisten von uns ist es ungewohnt im Konsens zu entscheiden. Das kommt vor allen Dingen daher, dass wir gelernt haben: „Demokratie heißt: die Mehrheit entscheidet.“ Für Wahlen und Volksabstimmungen und in Parteien und vielen anderen Organisationen mag dies auch die richtige Auffassung sein. Das Netzwerk Attac, das als einen wesentlichen Anspruch formuliert, ein breit gefächertes Spektrum sowohl von Personen, als auch von Mitgliedsorganisationen zu vereinen, hat sich für einen anderen Weg entschieden. Es galt von Anfang an die Position: „Wir respektieren die unterschiedlichen Grundauffassungen der Mitglieder in einer Weise, dass wir uns darauf verständigen: Wir machen die Dinge, über die wir uns einig sind, gemeinsam. Die anderen, über die wir uns nicht einig sind, machen wir jeweils in unserem eigenen Namen (oder im Namen unserer Organisationen).“ Als Konsequenz daraus fiel die Entscheidung für das Konsensprinzip. Weil es uns weitgehend fremd ist, müssen wir es üben. Und üben. Und üben... Das ist nicht eben so dahergesagt, sondern es verlangt von uns allen, dass wir Konsensentscheidungen in dem Bewusstsein herbeizuführen suchen, dass es uns auf einen Konsens auch ankommt. Wer Konsense mit einem „Mehrheitsentscheidungsbewusstsein“ zu erreichen versucht, wird zum Scheitern verurteilt sein und bei Attac dauerhaft keine „Heimat“ finden.

_____

1) Formale Entscheidungen (z.B. Beschlüsse über eine Tagesordnung) und Gremienwahlen finden als Mehrheitsentscheidungen statt.

2) Für Ratschläge (dort treffen sich in der Regel 400 – 600 Attac-Mitglieder) wurde der Konsensbegriff aus pragmatischen Gründen „relativiert“. Dort gilt: Konsens ist, wenn nicht mehr als 10% der Anwesenden ihr Veto einlegen.

3) Konsensfindung will geübt sein. In den Gremien, die häufig im Konsens entscheiden, sind die Fälle, in denen kein Konsens gefunden wird, ausgesprochen selten.

4) Die zur Verfügung stehende Zeit hängt natürlich von der Dringlichkeit einer Entscheidung ab. So kann eine Konsensfindung z.B. zwischen zwei Plena eingesetzt werden, oder aber auch innerhalb einer gerade stattfindenden Gremiensitzung.

5) Diese Haltung kommt häufig vor und ist sowohl Ausdruck der eigenen Verantwortlichkeit für das Ganze, als auch – ganz formal – z. B. als Protokollnote.


Bemerkung: aus meinem "Cache" - da bei attac München leider offline --RedTeddy 11:03, 20. Aug. 2010 (UTC)


Ergänzung:

Konsensprinzip


Die tragende Säule des Strukturvorschlags ist das Konsensprinzip. Konsens heißt nicht hundertprozentige Zustimmung. Das liefe auf Vetorecht und Blockademacht für jeden und jede hinaus. Der Strukturvorschlag geht nicht von einem rein quantitativen, sondern von einem qualitativen bzw. gewichteten Begriff von Konsens aus. D.h. wenn auch nach gründlichen Versuchen der Konsenssuche kein Kompromiss zustande kommt, können in solchen Ausnahmefällen trotzdem Entscheidungen getroffen werden, wenn sie nicht zur Existenzgefährdung für die Organisation führen. Praktische Erfahrungen in vielen Netzwerken oder auch in der Friedensbewegung der 80er Jahre zeigen, dass dies gut funktioniert. Zumal wenn es möglich ist, dass bei Entscheidungen, die nicht als Essential empfunden werden, Konsens besteht, Mehrheitsentscheidungen zu akzeptieren. Bisher funktioniert Attac auf dem Konsensprinzip. Eine Abgehen davon wäre auf demokratische Weise nur dann möglich, wenn darüber Konsens bestünde.

... war einst unter http://www.attac-muenchen.org/Konsensprinzip zu finden