APRIL.2010-06-03

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"Wie raus aus der kommunalen Finanzkrise?"
Wege und Irrwege - Kein Ausverkauf öffentlichen Eigentums!

Dazu diskutieren am Donnerstag, dem 3. Juni 2010, 19 Uhr, im Zeitgeschichtlichen Forum, Leipzig, Grimmaische Str. 6

  • Torsten Bonew, (CDU), Finanzbürgermeister Leipzig
  • Dr. Axel Troost, Mitglied des Bundestages (DIE LINKE)

Eine Veranstaltung der

Anti- PRivatisierungs-Initiative Leipzig (APRIL-Netzwerk)

http://www.april-netzwerk.de

Mit Unterstützung von attac und ver.di Leipzig.

Ankündigung

Die Folgen der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise treffen mit voller Wucht unsere Städte und Gemeinden. Mit der Androhung der Zwangsverwaltung durch das Land sollen sie zu "Spar"-Haushalten gezwungen werden, deren Folgen die Masse der Bevölkerung zu tragen haben wird und die die Gestaltungsspielräume der Kommunen immer weiter einengen. Das kann nicht die Lösung sein!

  • Welche politischen Maßnahmen braucht die Stadt, um dauerhaft ihre Aufgaben zu erfüllen?
    • Was kann noch aus eigener Kraft bewältigt werden?
    • Wie soll eine nachhaltige Einnahmensicherung aussehen?
    • Welche politischen Rechte brauchen die Kommunen, damit kommunale Selbstverwaltung nicht zur Farce wird?
  • Welche kurz- und langfristigen Wirkungen hätten Verkäufe öffentlichen Eigentums?
    • Was wären die realen Einmaleffekte von Verkäufen?
    • Sind Einnahmeausfälle für die Folgejahre abzusehen?
    • Welche Folgen hätte dies für Aufgaben wie den Öffentlichen Personennahverkehr oder für andere Leistungen?
  • Welche Verantwortung haben Bund und Land für die Absicherung kommunaler Aufgaben?
    • Wie kann verhindert werden, dass die "Schuldenbremse" auf die Kommunen abgewälzt wird?
    • Wie kann eine ausreichende, verlässliche Basis kommunaler Einnahmen aussehen? Wie können von Bund und Land zugewiesene Aufgaben - und deren Kosten - begrenzt werden?
    • Wie können Mitentscheidungsrechte verankert werden?

Bericht

Einführend wies Wolfgang Franke vom APRIL-Netzwerk auf den Kontext der Veranstaltung hin, mit der die Organisatoren des Bürgerbegehrens gegen den Verkauf der SWL-Anteile im Januar 2008 mit Blick auf das Auslaufen der Bindungswirkung Anfang 2011 die Debatte um die Bedeutung kommunalen Eigentums zur Sicherung der kommunalen Handlungsfähigkeit fortsetzen wollen. Er umriss noch einmal die Fragen zur kommunalen Situation, die an diesem Abend diskutiert werden sollten: Ein zunehmendes und sich in den letzten Jahren bundesweit weiter verschärfendes Ungleichgewicht zwischen Aufgaben, Handlungserfordernissen und finanziellen Spielräumen engt die Handlungsfähigkeit der Städte und Kommunen weiter ein. Die staatlicherseits geförderten Versuche, Private in diese Breschen springen zu lassen, haben sich in den letzten Jahren zunehmend als problematisch erwiesen, so dass viele Kommunen über die Rekommunalisierung öffentlicher Aufgaben nachdenken oder diesen Weg bereits beschreiten. Es zeigt sich, dass kommunale Handlungsspielräume bei derartigen Aufgaben unabdingbar sind, um flexibel auf sich änderne Anforderungen reagieren zu können.

Im folgenden, insgesamt sehr konstruktiven Gespräch gingen die beiden Podiumsgäste das Thema entsprechend ihrer Position im politischen Alltag aus zwei verschiedenen Perspektiven an - Torsten Bonew aus der Innenperspektive kommunaler Handlungsspielräume und Axel Troost aus der Außenperspektive. Letztere Perspektive beinhaltet die seit vielen Jahre erhobene Forderung nach ausreichender Finanzierung der Städte und Gemeinden. Diese Thematik spielte im APRIL-Netzwerk immer wieder eine Rolle, nicht zuletzt auf der Basis von Klaus Jungfers Buch [1], das Ende 2007 im Vorfeld des Bürgerentscheids an die Stadträte als Weihnachtsgeschenk übergeben wurde. Nach zwei Jahren leichter Entspannung haben sich mit den aktuellen Haushaltskürzungen auf Landes- und Bundesebene die strukturellen Defizite und Einschränkungen der kommunalen Handlungsspielräume in den letzten drei Jahren noch einmal deutlich verschärft. Troost wies darauf hin, dass allein gegenüber den unter Helmut Kohl gültigen Steuergesetzen heute 330 Mrd. Euro Mindereinnahmen zu verzeichnen sind, so dass der einseitige Fokus auf Ausgabenreduzierungen, die von Landes- und Bundesebene auch an die Kommunen herangetragen werden, Teil einer gigantischen Vermögensumverteilung sind. Troost verwies darauf, dass dies nicht nur Wirkung zeigt bei Privatpersonen, die auf staatliche Hilfen angewiesen sind, sondern in noch größerem Ausmaß gerade auch bei kleineren Kommunen, wie der aktuelle Hilferuf aus der gemeinde Trebsen zeigt. Troost sieht im Ringen um eine angemessen Finanzausstattung der Städte und Gemeinden einen Schwerpunkt der politischen Arbeit seiner Partei in den nächsten Jahren, wozu mit der Fachtagung [2] im letzten Jahr schon ein wichtiger Beitrag zur Bestandsaufnahme geleistet wurde.

Mit besonderer Spannung wurden die Ausführungen von Torsten Bonew aufgenommen, seit fünf Wochen im Amt als Nachfolger von Bettina Kudla, die mit der letzten Wahl in den Bundestag wechselte, der hier erstmals - mit Verweis auf die Vertraulichkeit der laufenden Gespräche im Ältestenrat des Stadtrats allerdings mit "angezogener Handbremse" - seine Vorstellungen zur Haushaltssanierung einer kritisch interessierten Öffentlichkeit vorstellte. Die Rahmengrößen der finanziellen Situation Leipzigs sind weitgehend bekannt, wenn auch die Meinungen über die Dramatik der Situation auseinandergehen. Das spielte allerdings an diesem Abend keine Rolle, denn es ist klar, dass Leipzig mit Blick auf die Situation und die politischen Rahmenbedingungen weiter einen Sparkurs fahren muss. Bonew ging hier mit der Frage, ob sich Leipzig einen so großen Kulturhaushalt leisten könne, auch gleich einen sensiblen Punkt an, wobei er von Anfang an klarstellte, dass es ihm primär um die Straffung und Zusammenführung der verschiedenen Verwaltungsstrukturen und deren Vernetzung mit anderen Aufgabenfelder wie dem Stadtmarketing ging. Auf Nachfragen, dass man Kultur und Kita-Plätze nicht gegeneinander verrechnen könne, betonte Bonew noch einmal, dass er nicht gegen Kultur, sondern gegen wenig unternehmerisch agierende Verwaltungsstrukturen vorgehen möchte.

In der Debatte um eine weitere Privatisierung kommunaler Betriebe, die allerdings an diesem Abend nur sehr pauschal geführt wurde, da entsprechende Detailvorschläge nach Abschluss der internen Gespräche erst noch auf den Tisch gelegt werden sollen, spielte der folgende neue rechnerische Ansatz eine zentrale Rolle: Mit 10 Mill. Euro Erlös aus Verkauf kommunalen Eigentums können weitere 20 Mill. Euro Fördermittel generiert werden, so dass durch entsprechende Investitionen das kommunale Eigentum deutlich gemehrt würde. Nur unter solchen Prämissen wäre er überhaupt bereit, kommunales Eigentum zu veräußern. Hier werden die Grenzen einer rein fiskalischen Betrachtung der Angelegenheit allerdings schnell deutlich - geht es doch dem APRIL-Netzwerk in der Frage der Grundlagen kommunaler Daseinsvorsorge vor allem auch um die Sicherung der Handlungsfelder und Einflussmöglichkeiten auf Prozesse in der Stadt. Es ist wenig gewonnen, wenn solche Einflussfelder an einer Stelle durch Privatisierung aufgegeben werden, um damit an anderer Stelle reine Erhaltungsinvestitionen - den Abbau des Investitionsstaus - zu tätigen. Auch wenn dabei letztlich ein Plus im Saldo der kommunalen Vermögenswerte zu Buche schlägt, so ist doch der Handlungsspielraum real eingeschränkter als vorher.

Besondere Aufmerksamkeit fand natürlich auch der Finanzskandal der KWL, in dessen Bewertung sich Torsten Bonew ganz auf der Linie der aktuellen Einschätzung durch die Verwaltungsspitze bewegte - es handele sich klar um einen Fall von Organisierter Kriminalität, und die Chancen der Stadt stehen gut, die Forderungen nicht begleichen zu müssen. Es drängt sich damit natürlich neu die Frage auf, welche Risiken in den anderen CBL-Geschäften der Stadt schlummern, die ja zum Teil von denselben "Value Partners" aka "Global Capital Finance" vermittelt wurden. Siehe die Recherchen CBL.Uebersicht.

In einem Schlusswort der Organisatoren bedankte sich Ines Jahn (ver.di) für die konstruktive Diskussion, die - mit Blick auf die noch vagen Konturen der Stadtpolitik in dieser Richtung - nur ein erster Auftakt gewesen sein kann. Die an diesem Abend deutlich hörbaren Ansätze, den Verkauf kommunalen Eigentums mit dem Ziel der Sanierung der Stadtfinanzen ernsthaft zu prüfen, wird vom APRIL-Netzwerk auch weiterhin kritisch und aufmerksam begleitet werden.

Verweise:

  • [1] K. Jungfer: Die Stadt in der Krise. Ein Manifest für starke Kommunen. Bundeszentrale Politische Bildung, Bonn 2005.
    • Klaus Jungfer, viele Jahre Stadtkämmerer von München, analysiert die Ursachen für die aktuelle Situation und zeigt mögliche Wege aus der Krise. So sollten starke Städte als Zentren von Politik, Wirtschaft und Kultur begriffen und gefördert werden. Größere finanzielle Unabhängigkeit und die Befreiung der Städte von überflüssigen Verordnungen sind wichtige Schritte in diese Richtung. Aber auch die Stadtverwaltungen selbst sind gefordert, vor dem Hintergrund knapper werdender Ressourcen gilt es, diese effizienter zu nutzen.
    • Zur Übergabe des Buchs an die Leipziger Stadträte siehe APRIL.Presse-12-2007
  • [2] Ergebnisse der Fachtagung "Kommunen vor dem Finanzkollaps" vom 28. November 2009 im Dresdner Gewerkschaftshaus

Hans-Gert Gräbe, 16.06.2010

Kommentar

Ich bin sauer darüber, dass zu viele in die Falle tappen, die der pfiffige Bonew bestimmt nicht ohne Kalkül gestellt hat: Sprich über Kultur und alles stürzt sich auf das Thema, obwohl die Kultur weder der Auslöser noch der Löser der Kalamitäten mit den Finanzen sein kann.

So wurde über das Thema PPP überhaupt nicht gesprochen und der Verkauf städtischen Eigentums unter eine Vertraulichkeitsklausel gestellt.

Auch der Berichterstatter in der LVZ ist willig über das von Botew hingehaltene Stöckchen gesprungen. >Kultur für eine Million Einwohner< , dieser Demagoge!

salute. Hannes