APRIL.2007-10-18

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OBM Jung auf einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung der Jusos Leipzig am 18.10.2007

Bericht

Eingangs stellte OBM Jung sein prinzipielles Verständnis kommunalen Handelns vor, das wesentlich auf drei Säulen ruht: (1) dem kompetenten Agieren einer leistungsfähigen Verwaltung, (2) dem im Stadtrat zum Ausdruck kommenden Bürgerwillen und (3) einer tragfähigen kommunalen Wirtschaft. Etwa 70 kommunale Unternehmen sind dem Kernbestand dieses "Stadtkonzerns" zuzurechnen, die in den letzten Jahren auch durch Engagement über Leipzig hinaus zu wirtschaftlich sinnvoller Größe geführt wurden. Diese Zahl kommunaler Unternehmen entspricht bundesdeutschem Durchschnitt. Leipzig nimmt mit der praktischen Umsetzung dieser strategischen Orientierung einen Spitzenplatz unter den ostdeutschen Kommunen ein.

Da die Weiterentwicklung bundes- und landespolitischer Rahmenbedingungen ein solches kommunales Engagement zunehmend beschneidet zugunsten exzessiver Privatisierungsforderungen, befindet sich Leipzig hier in einem Feld harter politischer Auseiandersetzungen. Insbesondere die Änderung der Sächsischen Gemeindeordnung durch die sächsische CDU-Alleinregierung im Jahre 2002 kann nur als "Lex Leipzig" verstanden werden.

Im Spagat zwischen der Forderung nach Abbau der Verschuldung - mit deutlich schlechteren Einnahmeprognosen noch vor zwei Jahren - und diesen Prämissen kommunalpolitischen Handelns standen alle großen Stadtfirmen auf dem Prüfstand. Allein bei den Stadtwerken (SWL), so OBM Jung, ergab sich dabei überhaupt ein möglicher Handlungsspielraum in einem der Problemlage angemessenen finanziellen Umfang.

Im bundesdeutschen Vergleich bewegten sich die Szenarien möglicher kommunaler Entscheidungen zwischen den Polen Duisburg - hohe Verschuldung und Zwangsverwaltung seit vielen Jahren - und Düsseldorf - Schuldenfreiheit nach Verkauf zentraler kommunaler Unternehmen, aber nun ohne kommunale Gestaltungsspielräume - als Beispielen. Beides sind keine erstrebenswerten Perspektiven für Leipzig.

OBM Jung würdigte explizit die kluge Unternehmenspolitik von Wolfgang Wille, des im Sommer 2007 in den Ruhestand verabschiedeten Geschäftsführers der SWL, der frühzeitig erkannt habe, dass die Stadtwerke im sich stark verändernden Energiesektor nur durch Engagement über Leipzig hinaus bestehen können, und dies unternehmerisch erfolgreich umgesetzt habe. Rückschläge wie beim Wabio-Projekt sind dabei nicht zu vermeiden, die mit einem zu erwartenden Verlust zwischen 10 und 25 Mill. Euro auf das aktuelle Ergebnis der Stadtwerke durchschlagen. Auch deshalb gab es aktuell eine Warnung, dass der diesjährige SWL-Gewinn - nach 54 Mill. Euro noch in 2006 - unter 48 Mill. Euro liegen wird.

Dieser Erfolgskurs bewegt sich am Rande der rechtlichen Spielräume für ein kommunales Unternehmen, die mit der Reform der Sächsischen Gemeindeordnung und zu erwartenden bundesdeutschen Gesetzen weiter drastisch eingeengt wurden bzw. werden sollen. Ein gemischtes Unternehmen mit wenigstens 25% Anteil eines privaten Partners ist diesen Restriktionen nicht mehr unterworfen. OBM Jung betonte, dass am Anfang des Diskussionsprozesses die Haushaltskonsolidierung im Mittelpunkt stand, heute aber der strategische Partner, durch dessen Einstieg die festgeschriebenen strategischen Entwicklunglinien der Stadtwerke vor allem gegen politische Zumutungen abgesichert werden sollen, im Vordergrund steht.

Auf die Frage nach den Erfahrungen mit bereits zwei Privatisierungen der Stadtwerke angesprochen, gab OBM Jung seiner Überzeugung Ausdruck, (1) dass die Zusammenarbeit nur funktionieren wird, wenn sich der Private auf eine "Partnerschaft auf Augenhöhe" einlässt, (2) dass die Stadt mit 50.1% den Geschäftsführer einsetzt und in allen strittigen Fragen die eine Stimme Mehrheit haben wird, um Entscheidungen zu ihren Gunsten durchzusetzen, (3) dass durch die Verhältnisse im Aufsichtsrat, wo neben 5+5 Mitgliedern der Gesellschafter auch 10 Arbeitnehmervertreter sitzen werden, das Gewicht der kommunalen Anliegen angemessen berücksichtigt ist und (4) dass die im Konsortialvertrag festgelegten klaren Ausstiegsszenarien und Vertragsstrafen im Ernstfall auch greifen werden. Damit soll der Private auf die bisherige strategische Linie der SWL festgelegt werden und diese sinnvoll ergänzen, insbesondere durch Bereitstellung von Kraftwerksscheiben, um die Energiesicherheit in einem zunehmend unübersichtlichen und von vier großen Erzeugern beherrschten Markt sicherzustellen.

Auf das Bürgerbegehren angesprochen betonte OBM Jung, dass er den Dialog suchen werde, wenn in einigen Wochen die Ergebnisse des Verfahrens auf dem Tisch liegen. Insbesondere denke er an ein Fachpodium mit dessen Initiatoren. Die Fragestellung des Bürgerbegehrens - gegen die Privatisierung jeglicher kommunaler Firmen (hier wiederholte Jung eine in der Presse verbreitete Position, die nicht die des Bürgerbegehrens ist) - sei kontraproduktiv und komme überdies für den aktuellen Prozess zu spät. Ob sie in der vorliegenden Form für einen Bürgerentscheid überhaupt zulässig ist und wie mit der Problematik ggf. umzugehen sei, darüber sind die Meinungsbildungsprozesse noch nicht abgeschlossen. Allerdings ist OBM Jung mit Blick auf den allgemeinen Frust insbesondere über die Preise der Stadtwerke optimistisch, bei einem Bürgerentscheid eine Mehrheit der Leipziger hinter seinem Verkaufskonzept zu versammeln. Vor einigen Jahren noch hätte eine große Mehrheit der Leipziger die SWL lieber heute als morgen verkauft. Krude Sinneswandel der öffentlichen Stimmung in der Stadt sind über die Jahre zu vielen Fragen zu beobachten gewesen. Als OBM stehe er in der Pflicht, den begonnenen Privatisierungsprozess sauber zu Ende zu führen. Anderes könne und wolle er den Bietern nach fast einjähriger intensiver und kostenträchtiger Verhandlungen nicht vermitteln. Deshalb wird die Abstimmung über das Ergebnis des Bieterverfahrens definitiv im Dezember auf der Tagesordnung des Stadtrats stehen.

Auf die Frage, was denn eintrete, wenn die Front der Befürworter im Stadtrat bröckele, antwortete OBM Jung, dass es Sache des Stadtrats sei, die vorbereitete Entscheidung so oder so zu treffen. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Jung mit einer solchen Lösung durchaus leben könne, ja eine solche Perspektive für ihn nicht einmal die schlechteste aller möglichen wäre.

Eine Sollbruchstelle der derzeitigen Koalition der Privatisierungsbefürworter liegt im Umgang mit den weitergehenden Forderungen von CDU und FDP nach Anteilsprivatisierungen der LVV. Um dieses Thema ist es, nach vollmundigen Aussagen noch vor der Sommerpause, inzwischen relativ ruhig geworden. Zur Frage der Folgen der LVV-Privatisierung sei ein Gutachten bei einer "renommierten Beratungsfirma" in Auftrag gegeben, auf dessen Basis auch hier im Dezember im Stadtrat die Weichen gestellt werden sollen, so OBM Jung. Hier klare Fronten zu schaffen, das sei er der Öffentlichkeit und dem Bieter schuldig, welcher den Zuschlag erhält. Offen blieb, ob Jung selbst eine solche Privatisierung befürwortet; seine Gesamtdarstellung der kommunalen Handlungsoptionen an diesem Abend spricht eher dagegen.

Bei der Auswahl aus den verbleibenden Bietern entscheidet vorrangig der gebotene Preis. Das sehen die EU-Richtlinien so vor. Im Vergabeverfahren ist mit Punkten gearbeitet worden, wobei zu 60% das preisliche Angebot und zu 40% die Erfüllung strategischer Vorgaben in die Bewertung einging. Damit bewegt sich die Stadtverwaltung auch hier am Rand des Zulässigen. Der endgültige Vorschlag sowie das Gutachten zur LVV kommen in der ersten Novemberhälfte auf den Tisch der interessierten Öffentlichkeit.

Hans-Gert Gräbe, 19.10.2007