MINT.2013-11-15

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Energieversorgungssysteme der Zukunft

Eine Veranstaltung des MINT-Netzwerks Leipzig im Rahmen des VHS-Programms zur Politischen Bildung

am Freitag, dem 15. November 2013, 14:30 Uhr im Raum 410 der Volkshochschule Löhrstraße

Mit Dr.-Ing. Christoph Mühlhaus, Lenkungskreis des Hypos-Projekt und Sprecher des Clusters Chemie/Kunststoffe Mitteldeutschland

Einführung und Moderation: Prof. Dr. Hans-Gert Gräbe (Uni Leipzig)

Ankündigung

Die Energiewende ist in aller Munde, eine klare Roadmap für die nächsten 50 Jahre aber kaum zu sehen. Thomas Prauße (ehem. GF der Stadtwerke Leipzig) betonte im März 2013 gegenüber der LVZ: "Die Energiewende verdient bisher den Namen nicht - sie ist eine reine Stromwende."

Eine komplexere Sicht auf Energieversorgungssysteme der Zukunft unter Einbeziehung aller Energiearten wird von Experten seit langem gefordert. Mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien, von denen die Hauptquellen Sonne und Wind nicht verbrauchsabhängig zur Verfügung stehen, steht inzwischen auch die Stabilität des Stromnetzes deutlich unter Druck. In Debatten um Regelungskapazitäten in den hier erforderlichen Dimensionen spielen zunehmend Konzepte um "power to gas" eine Rolle. Der Weg zu einer diversifizierenden und integrativen Betrachtung von Strom, Gas und Wärme als den heute eingesetzten Hauptenergieformen ist damit vorgezeichnet.

Mit dem Hypos-Projekt im Rahmen der Zwanzig20-Initiative der Bundesregierung werden die Möglichkeiten einer wasserstoffgeführten Energiewirtschaft der Zukunft, die wir bereits in anderem Kontext in Leipzig ausführlich erörtert haben, in neuem Rahmen aufgenommen und die Vorteile der praktischen mitteldeutschen Standortgegebenheiten (Existenz eines leistungsfähigen Industrie-Wasserstoff-Netzes) zur Geltung gebracht.

Dr.-Ing. Christoph Mühlhaus wird das Projekt vorstellen und Optionen, Handlungsfelder und Visionen mit den Teilnehmern diskutieren.

Hans-Gert Gräbe, 10.10.2013

Hintergrund: Hypos - Hydrogen Power Storage & Solutions East Germany. Ein Projekt im Rahmen der Zwanzig20-Initiative der Bundesregierung

Anmerkungen

Nach einer kurzen Einführung meinerseits und Erläuterung der Ziele des MINT-Netzwerks Leipzig im Allgemeinen und der gemeinsamen Veranstaltungsreihe mit der VHS Leipzig im Speziellen erläuterte Dr. Mühlhaus zunächst in seinem Eingangsreferat den etwa 30 Zuhörerinnen und Zuhörern den Kontext des Themas.

Dr. Mühlhaus kann auf ein langes Berufsleben in der chemischen Industrie in Mitteldeutschland zurückblicken und war federführend an der Gründung und Etablierung des Clusters Chemie/Kunststoffe Mitteldeutschland im Jahre 2003 beteiligt. Die chemische Industrie ist seit vielen Jahrzehnten die Leitindustrie im mitteldeutschen Raum und konnte sich auch nach der Wende behaupten. Dies war allerdings kein Selbstläufer, denn zunächst wurden auch hier die Betriebe in die Rolle der verlängerten Werkbank anderer Standorte gedrängt. Ähnlich wie an anderen ostdeutschen Standorten ist es vor allem dem Engagement weitsichtigen ingenieur-technischen Kernpersonals zu verdanken, dass neue Netzwerkstrukturen zwischen Industrie und Forschung entstanden sind, die auch technische Entwicklungen tragen können. Im Falle Mitteldeutschlands spielt dabei, so Dr. Mühlhaus weiter, die Ansiedlung einer Reihe von Fraunhofer Instituten in Leuna und Buna eine wichtige Rolle. Mit dem Cluster Chemie/Kunststoffe Mitteldeutschland hat diese Vernetzung auch festere organisatorische Formen angenommen; eine Voraussetzung, um in einer Ausschreibung wie Zwanzig20 zu punkten. Das Netzwerk bemüht sich inzwischen auch im europäischen Kontext im "Netzwerk der europäischen Chemiestandorte" Einfluss auf politische Entscheidungen in Brüssel zu nehmen.

Mit dem Hypos-Projekt werden eine Reihe von Alleinstellungsmerkmalen der mitteldeutschen Industrielandschaft aufgenommen, um verschiedene Aspekte des Zusammenspiels zwischen energetischen und stofflichen Aspekten der Energiewende voran zu treiben. Es gibt deutschlandweit nur zwei größere Regionen mit eigenen Wasserstoff-Netzen, die mitteldeutsche (von Altenburg bis hinter Bitterfeld) und eine Region im Ruhrgebiet. Diese sind primär erforderlich, um den Wasserstoff-Verbrauch der chemischen Industrie (etwa 100.000 m^3 pro Stunde in der Region) abzusichern. Eine Herstellung dieser Menge auf Strombasis würde 450 MW Dauerleistung erfordern, die Produktion "grünen Wasserstoffs" (von Dr. Mühlhaus stets als mit EEG-Strom hergestellter Wasserstoff) in diesem Umfang würde also - mit Blick auf die verfügbaren Betriebsstunden - eine installierte EEG-Leistung von mehr als 1200 MW in Anspruch nehmen.

Mitteldeutschland befindet sich im Übergangsbereich der Hauptgebiete installierter Windstrom- (Norddeutschland) und Solarstromerzeuger (Süddeutschland), so dass hier bereits auf eine gut ausgebaute Infrastruktur zugegriffen werden kann. Auch die Strom-Netze sind ausgebaut, denn die benötigte Elektroenergie wird heute in großem Umfang in der Lausitz produziert und in den mitteldeutschen Raum übertragen. Weiterhin gibt es eine große Menge von Kavernen zur Gasspeicherung, die vor allem aus dem Abbau von Kalisalzen für die Chlor-Alkali-Industrie resultieren. Damit sind viele Voraussetzungen gegeben, neue Konzepte zum Thema "Energiewende", die mehr ist als eine reine Stromwende für endverbrauchende Haushalte, zu entwickeln und praktisch zu erproben.

Dabei lassen sich viele technologische Potenziale heben, insbesondere die Direktherstellung von Wasserstoff am (neuen) Windparkstandort, wo die Windräder Gleichstrom erzeugen, der direkt zur Elektrolyse verwendet wird und sonst erforderliche umfangreiche Frequenzstabilisierungstechniken wegfallen können. Windparkbetreiber sind an der Entwicklung solcher Technologien auch interessiert, da die derzeit reichlich fließenden EEG-Vergütungen auf längere Sicht kaum in dieser Höhe bestehen bleiben werden und deshalb eine technologische Diversifizierung unbedingt angesagt ist, um auch für andere Geschäftsmodelle gerüstet zu sein.

Für den erzeugten Wasserstoff sollen weitere Nutzungsfelder erschlossen werden. Insbesondere ist an ein Netz von 1000 Wasserstoff-Tankstellen gedacht, um eine entsprechende Fahrzeugflotte zu versorgen. Aktuell ist das Fehlen eines solchen Tankstellen-Netzes das größte Hindernis für die weitere Verbreitung dieser Mobilitätsform. Dies ist auch aus wirtschaftlichen Gründen interessant, denn Wasserstoff im Verkehr ist konkurrenzfähig (wenn nicht auch mit Mineralölsteuer belegt), Rückverstromung aus Wasserstoff ist es (heute) nicht.

In einem weiteren Teil des Vortrags und auch bestimmend für die Diskussion waren die desaströsen Auswirkungen der aktuellen politischen Rahmensetzungen im Energiebereich, die ich hier nicht weiter ausführen werde. Spannend allerdings für mich die kleine Kontroverse um bestehende oder nicht bestehende Möglichkeiten, fallende Spotmarktpreise zur Reduzierung der Energie-Kosten zu nutzen. Dr. Mühlhaus machte deutlich, dass ein Chemiepark als großer Stromverbraucher von Spotmarktpreisen nichts hat, da für ihn die garantierte Stromversorgung im Vordergrund steht, wozu er konkrete Energieversorger vertraglich binden muss, was diese nicht zu Spotmarktpreisen machen.

Eine letzte Frage richtete sich auf die Perspektiven urbaner Energieversorgung, die auf einer Folie als weitere Option genannt war. Nach unseren Diskussionen zu einer Wasserstoff geführten Energiewirtschaft mit Karl-Heinz Tetzlaff eine sehr logische Frage. Diese Aspekte scheinen im Konsortium noch nicht in der umfassenden Form beachtet worden zu sein.

Links:

Hans-Gert Gräbe, 16.11.2013