WAK.MB-Debatte.6-08-MM

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Beitrag aus dem Mitteilungsblatt 6-2008 des Stadtverbands der Linkspartei

Weder langer Atem noch Brechstange

Eine Replik auf Skadi Jennickes These „Langer Atem statt Brechstange“ (Mitteilungsblatt 3/2008, DIE LINKE.Leipzig, S.3, Diskussion)

Auf interessante und wissenschaftlich aufgehübschte Weise greift die Autorin die aktuellen Zusammenhänge im Leipziger Stadtverband auf und verdreht sie schließlich doch.

Sie führt aus: „Minderheiten sind keine absoluten Größen, sie können nur in Bezug auf bestimmte Fragen entstehen.“ Jedenfalls ist diese Aussage ohne jeden Kontext richtig. Sie koppelt die Minderheit an die Sachfrage und setzt sie in den Rahmen einer Verabsolutierung, den die Minderheit auch nicht in einer bestimmten Sachfrage beansprucht. Mit etwas Unschärfe könnte es fast wahr sein, wenn man weder den eigentlichen Gegenstand (Demokratie ist der unstete Wechsel von Minderheiten und Mehrheiten) noch die daraus erwachsende Konsequenz berücksichtigtet. Die besteht darin, dass das ursprüngliche demokratische „Instrument der Mehrheit“ selbst keine tiefe inhaltliche Frage darstellt. Vielmehr ist die Fähigkeit zur Toleranz die Voraussetzung dafür, minderheitlich vertretene Sachfragen zu mehrheitsfähigen Perspektiven umzugestalten. In diesem Sinne zählt in der Formfrage nur ein Argument: „Minderheiten respektieren und deren Positionen gleichberechtigt einbinden“. Schließlich geht es um Erkenntnisse. Wie konstituiert sich nun die angenommene Mehrheit im Leipziger Stadtverband? Sie setzt sich im Wesentlichen aus einer Gruppe von Funktionären und einer großen Gruppe von Mitgliedern zusammen. Im Prozess der Konstituierung nutzt die Funktionärsgruppe ihre privilegierten Zugriffsmöglichkeiten auf die Informationswege im Stadtverband (Internet, Mitteilungsblatt, Email-Verteiler, Anleitung der Ortsvorsitzenden). Die so durch Fehlinformation, bewusste Missdeutungen und Diffamierungen vorgeprägte große Mitgliedergruppe (in den Basisorganisationen und auch die Delegierten des Stadtparteitages) ist somit nur im Stande, die intendierte Grundauffassung der Funktionärsgruppe zu bestätigen. Dass die Kritiker nur wenige Mandate oder Ämter innehaben, wird ihnen obendrein als Kompetenzminderung angerechnet.

Selbst Minderheit zu sein und zugleich von Amtsmacht Abstand zu nehmen, liegt im Wesen des Kritikers. Eine Mehrheit oder Personen in Ämtern, Mandaten und Funktionen tun sich mit Kritik mehr als schwer. Der Autorin ist in die- sem Zusammenhang zuzustimmen, wenn sie Amts- und Mandatserlangungsabsicht als Motiv der Beteiligung einzelner unterstellt. Dabei ist das Beharrungsvermögen und strukturelle Verdrängungsgebaren von Amts- und Mandatsträgern eine spezifische Seite dieser Motivation.

Für die Leipziger Situation möge man sich folgerichtig vorstellen, dass ein Fraktionsmitglied bzw. ein Amtsträger kraft seines Amtes sich selbst Kompetenz zuweist, dies von der Menge seiner so informierten Anhänger bestätigt und anschließend die mögliche Alternative auf dieser Grundlage angezweifelt wird. Hierin besteht die Crux. Diese beleuchtet die Autorin leider nicht und löst sie in der Folge auch nicht auf.

Zwei wichtige Aspekte werden also einfach außen vor gelassen. Die grundsätzliche kritische Betrachtung von Demokratiedefiziten als Anlass für die Kritik selbst und die gegenwärtige und lokale Perspektive, die der kritischen Betrachtung zu unterliegen hat. Auf den Punkt gebracht, weist das Paradoxon des Kreters Epimenides deutlich darauf. Er behauptete: „Alle Kreter lügen“. In nur umgekehrter Weise beansprucht die Autorin als Vorstandsvertreterin (Die Antinomie des Barbiers) für sich die Wahrheit – und zwar die einzige Wahrheit, solange sie von einer Mehrheit vertreten wird, die sich allein durch sie selbst legitimiert – sowohl in Sach- als auch grundlegend in allen formellen Fragen. An anderer Stelle beansprucht die Autorin Zeit für Veränderungsprozesse („Annäherungsprozesse politischer Kulturen brauchen Zeit“, ebd.). Dem kann man durchaus zustimmen. Doch wesentlich für Veränderungs- und Annährungsprozesse ist der politische Wille dazu. Das setzt Achtung von Minderheiten voraus. Insbesondere erwächst dieses Erfordernis im Kontext der Parteineubildung. Denn sie braucht nicht nur den formal erklärten Willen zur Zusammenführung. Sie braucht den tatsächlichen Willen. „Das Prinzip der Po- litik ist der Wille. Je einseitiger, das heißt also, je vollendeter der politische Verstand ist, um so mehr glaubt er an die Allmacht des Willens, um so blinder ist er gegen die natürlichen und geistigen Schranken des Willens, um so unfähiger ist er also, die Quelle sozialer Probleme zu entdecken.“ (MEW I, 402) Wir brauchen also keinen einseitigen politischen Verstand. Es ist an der Zeit, dies zu erkennen und umzusetzen.


Maximilian Meurer