Naturkundemuseum.Petition

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Petition zum Erhalt des Naturkundemuseums vom September 2010

Quelle: http://www.kanal8.de/default.aspx?ID=11174&showNews=838716

An die Ratsversammlung der Stadt Leipzig
an den Petitionsausschuss und an die Fraktionen
04092 Leipzig

Sehr geehrte Damen und Herren,

am Freitag, den 17.09.2010 verkündeten die Bürgermeister Burkhard Jung und Michael Faber, dass sie das Naturkundemuseum einsparen, also schließen müssen. Wir finden es sehr bedenklich und nicht hinnehmbar, dass bis heute noch keiner mit den betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern direkt gesprochen hat.

Die Stadt Leipzig war und ist eine Stadt des aufstrebenden Bildungsbürgertums. Sie leistete sich in den vergangenen Jahren viel und hat viele weitere Investitionen geplant, so z.B. 19 Mill. € für ein neues Stadtarchiv, 30 Mill. € (13 Mill. € städt. Eigenanteil) für Anschluss und Erschließung des Lindenauer Hafens, 2,4 Mill. € für den Bau des Connewitzer Wehres, 12 Mill. € auf dem Gelände der Alten Messe – u.a. für den Bau eines Prachtboulevards, 3,5 Mill. € Fördermittel für ein zweites Parkhaus am Zoo (was sich eigentlich durch Betriebskosten selbst finanzieren müsste) und vieles mehr. Die Stadt Leipzig findet für alles Geld, wofür sie es haben möchte.

Herr Jung hat am 25.09.2010 in der Leipziger Volkszeitung erklärt: „Noch nie floss in Leipzig mehr Geld in die Kultur als im Moment.“ Warum siecht dann gleichzeitig das Naturkundemuseum an der Grenze des Existenzminimums? Will man in der Führung der Stadtverwaltung diese Kultur-, Dokumentations-, Archiv- und Bildungsstätte, das Naturkundemuseum Leipzig nicht mehr, die den Krieg und die Mangelwirtschaft der DDR erfolgreich überlebt hat?! Nach allem, wie immer wieder am Naturkundemuseum gespart wurde, Stellen gestrichen oder nicht mehr besetzt wurden, vom Stadtrat bewilligte Gelder bis heute nicht investiert wurden sowie was in den letzten Wochen von den beiden Bürgermeistern verkündet wurde, müssen wir davon ausgehen, dass man in der Verwaltungsspitze das Naturkundemuseum in Leipzig nicht will!

Das Desinteresse und die Fantasielosigkeit des Kulturamtes im Umgang mit dem Naturkundemuseum sind einfach unbeschreiblich. Es gab kein Bemühen um Fördermittel, z.B. aus der Tourismusförderung oder Mitteln der Bergbaunachfolge. Dabei hat Chemnitz z.B. sein Naturkundemuseum zum zentralen Teil seines Tourismusmarketings erhoben und in Halle soll gerade ein neues Naturkundemuseum entstehen. Millionen wurden von der LMBV in Schleusen und touristische Infrastruktur investiert, die nichts mit dem Bergbau zu tun hatten. Warum dann nicht auch in ein Museum, das die Geschichte des Bergbaus und viele durch den Bergbau freigelegte Exponate zeigt? Und warum wurde nicht das Naturkundemuseum aus Mitteln des Konjunkturpaketes II saniert und modernisiert, obwohl damit gerade Bildungseinrichtungen gefördert werden sollten? Das Kulturamt hat damit bewiesen, dass es nicht in der Lage ist, verantwortungsbewusst mit dem Naturkundemuseum umzugehen.

Das Naturkundemuseum hat sich aus der Tradition des aufstrebenden Bildungsbürgertums als Sammlungs- und Ausstellungsstätte von ehrenamtlich in der Freizeit zusammengetragenen Sammlungen zu einer herausragenden Bildungsstätte entwickelt. Es ist nach wie vor ein Hort vielfältigster ehrenamtlicher Aktivitäten. Die Vereine aus Kunst, Kultur und Naturwissenschaft geben sich hier die Klinke in die Hand. Die Sammlungen sind ausgesprochen mannigfaltig und umfangreich. Viele Stücke stellen wertvolle unwiederbringliche Zeitzeugen der Natur- und Kulturgeschichte der Region dar, z.B.

  • Auswahl bedeutsamer Privatsammlungen: Erich Richter (Geschiebefossilien) Dr. Rudolf Gläsel (Gesteine und Fossilien), Dr. Hildegard Zeißler (Mollusken), Richard Schlegel (Vogeleier), Alexander Reichert (Insekten, fast alle Ordnungen), Ernst Müller (Kleinschmetterlinge),

Fritz Tornier (Libellen), Otto Michalk (Wanzen), M. Weickert (Herbarium 1840-1860, darunter viele in der Region ausgestorbene Arten), Otto Fiedler (Herbarium), Alfred Camillo Kopsch (Bryotheca Saxonica)

  • Teile der zoologischen Sammlung der Universität Leipzig, u.a. größte Sammlung von Dermoplastiken des international bekannten Tierpräparators Herman H. ter Meer, Präparate ausgestorbener Vogelarten (Riesenalk, Wandertaube, Lappenhopf), Belege der ersten deutschen Tiefseeexpedition auf der „Valdivia“, Originalmaterial von Eduard Poeppig und Peter Simon Pallas, Molluskensammlung von Heinrich Carl Küster.
  • Mineralogische Sammlung (besonders Achate aus Sachsen), Sammlung aller Gesteinstypen Europas, Tertiärfossilien aus ehemaligen Braunkohletagebauen, archäologische Sammlungen, wie die Silexartefakte von Markkleeberg, die bronzezeitlichen Gräberfelder

von Großsteinberg und Battaune bis hin zu den mittelalterlichen Funden aus der Nikolaistraße in Leipzig

  • 17.500 Bücher, Zeitschriftenbände, Separata, 9.000 historische Negativplatten und Diapositive vergangener Natur- und Kulturlandschaften, Dietzels Originale (Gemälde) von der Menschheitsentwicklung

Die Mitarbeiter verfügen durch die wissenschaftliche Arbeit mit den Sammlungen über umfangreiches Wissen auf welches anderen Bereiche der Stadtverwaltung und andere Behörden, aber auch die ehrenamtlichen Hobbyforscher vielfältig zurückgreifen. Das Naturkundemuseum ist damit regional das bedeutendste Naturarchiv, Kompetenzzentrum und Bildungsstätte in einem.

Besonders schlimm finden wir, dass nach erfolgtem Wiederaufbau die Präparationswerkstatt nun ohne Präparator leer steht, weil sein befristeter Arbeitsvertrag im September 2010 ausläuft. Der Aufbau erfolgte mit Fördermitteln aus dem Konjunkturpaket, weil für die konservatorische Betreuung der Wirbeltiersammlung dringend ein Präparator von Nöten ist. Sollte die Stelle nicht unverzüglich wieder besetzt werden, sehen wir in der Nichtbesetzung einen wahrscheinlichen Fördermittelbetrug seitens der Stadt Leipzig.

Die Mitglieder des Vereins der Freunde und Förderer des Naturkundemuseums sowie weitere Freunde des Hauses fordern deshalb die Stadträte aller Fraktionen der Stadt Leipzig auf:

  • Setzen Sie die Bekundungen aller Politiker, dass an der Bildung nicht gespart werden darf in die Realität um! Lassen Sie nicht zu dass an der am Existenzminimum siechenden Bildungseinrichtung Naturkundemuseum noch mehr gespart wird!
  • Sorgen Sie dafür, dass für alle wichtigen Abteilungen des Naturkundemuseums (Geologie, Archäologie, Botanik, Wirbellosenzoologie, Wirbeltierzoologie und Präparation) die Stellen für jeweils einen sachkundigen Betreuer und Konservator der Sammlungen sicher gestellt

werden!

  • Werden Sie der immer wieder öffentlich betonten Bedeutung des Ehrenamtes gerecht, in dem sie den am Museum arbeitenden Vereinen ihre Heimstadt sichern und in dem Sie die in Millionen Stunden ehrenamtlicher Arbeit erstellten Sammlungen allen Bürgern öffentlich

zugänglich halten!

  • Geben Sie dem Museum eine Zukunft! Bekennen Sie sich für einen zukünftigen Standort des Museums an einer gut erreichbaren Stelle nahe der Leipziger Innenstadt! Verpflichten Sie die Stadtverwaltung, zeitnah das vorliegende fachliche Konzept von 50 Millionen Jahren

Klima- und Landschaftsgeschichte sowie 10.000 Jahren Natur-Kulturgeschichte der Region, welches dem Kulturausschuss im Juni dieses Jahres vorgetragen wurde, inhaltlich und baulich umzusetzen!

  • Fordern Sie die rasche Einwerbung von Fördermitteln für die Modernisierung des Museums, denn die Fördermöglichkeiten werden im Rahmen der Einsparmaßnahmen in den nächsten Jahren deutlich gekürzt.