Attac.DenkTankStelle.2016-04-18

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DenkTankStelle von Attac-Leipzig

Thema: Werkzeuge für kollaborative Willensbildung
Ort und Zeit: Mo, 18. April 2016, 19 Uhr im Café Grundmann

Ankündigung

Leben wir nicht gerade in einer Zeit, in der es von mündigen Bürgern nur so wimmelt? Mutbürger, Wutbürger, Bürgerinitiativen und Demonstrationen für und gegen alles, legen diese Auslegung nahe. Ist der Ruf »Wir sind das Volk«, mit dem jeden Montag eine Menge Leute auf die Straße gehen, nichts anderes als Aufbegehren mündiger Bürger gegen die herrschenden Verhältnisse?

So ganz scheint das nicht zu stimmen, betrachtet mensch sich die Sprüche, die da mit herumgetragen werden. Eine neue Partei tritt an und verspricht denen, die hinter ihr herlaufen, das Fell über die Ohren zu ziehen - die laufen trotzdem. Die vor unseren Grenzen stehen und uns um Hilfe bitten, sollen davon gejagt werden. Kriege vor der Haustür werden mit einem Achselzucken abgetan. Zeichen von Mündigkeit?

Aufgeklärtes Volk weiß natürlich, dass »Mut zur Mündigkeit« eine der wichtigsten Thesen der Aufklärung war. Und so geht es an dem Abend wieder einmal um die Frage, was uns eigentlich davon abhält, wirklich mündige Bürger zu sein oder zu werden.

Und immer wieder nützlich bei der Beantwortung der Frage, was damals Kant dazu sagte: https://www.uni-muenster.de/FNZ-Online/wissen/aufklaerung/quellen/kant.htm

Johannes, 07.04.2016.

Anmerkungen

Auch wenn wir gefühlt schon 100mal über dieses Thema nachgedacht haben, lohnt auch das 101. Mal.

Zunächst reizt mich die Darstellung in Hannes´ Link zu "Immanuel Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? 1784" dazu, eine kritische Sicht anzuführen: Aufklärung erledigt – Räsonniert, aber gehorcht!

Wolfgang: Diesen "Gegenstandpunkt" finde ich ausgesprochen ärgerlich. Der Autor drischt mit hochgestochenem Diktus auf Kant ein, wobei er vieles absichtlich missinterpretiert - insbesondere Kants historische Situation völlig ignoriert. Am erbärmlichsten finde ich allerdings, dass dieser "Gegenstandpunkt" nicht die geringste Spur einer konstruktiven Alternative bietet.

Über solche Kritik zu reden, macht Sinn, denn wir machen uns Illusionen, wenn wir denken, dass der "mündige Bürger" die Wunschvorstellung der maßgeblichen Leute in Politik und Gesellschaft ist. In der "Wirtschaftswoche" vom 7.8.2013 sagt ein Jugendforscher zu unserem Thema: "Der Kapitalismus funktioniert auch mit Blöden". Auch das Vordringen der Digitaltechniken in nahezu alle Lebensbereiche wird dafür verantwortlich gemacht, dass die Mündigkeit der Bürger eher verhindert als befördert wird (s. etwa hier).

Wolfgang: Diese Analyse finde ich "hart aber fair". Natürlich bedaure ich, dass die Autoren das Fehlen von "Werkzeugen für die kollaborative Willensbildung" nicht in Betracht ziehen - freilich kann ich dies weder den "Analytikern" noch den "Blöden" zum Vorwurf machen... Dass "maßgebliche" Leute überhaupt nicht am "mündigen Bürger" interessiert sind, wissen wir leider alle...

Über die Postmoderne und ihre Kritik an der Aufklärung und ihren Werten - Vernunft, Menschenrechte, individuelle Freiheiten, Gleichberechtigung und Toleranz hatten wir auch schon gesprochen. Die Folge des postmodernen Diskurs ist u.a. Entpolitisierung und in Krisenzeiten Anfälligkeit für populistische Ideen. Soziologen sprechen davon, dass wir in einer postsozialen Gesellschaft leben, in der sich postautonome Subjekte tummeln, für die Normen, Leitbilder und Werte eher nebensächlich sind. Das postautonome Subjekt fragt nicht mehr: »Wie führe ich mein Leben als mündiger und moralischer Bürger?« Sondern es fragt: »Wie komme ich durch? Wie passe ich mich einer Welt an, die ohnehin nicht mehr zu ändern ist?«"

Wolfgang: Den angelinkten Versuch, Kant für heute zu erschließen, finde ich gut gelungen. Allerdings musste wohl der abschließende Versuch, Kant aufs Heutige unreflektiert zu übertragen, zwangsläufig scheitern. Kant als Gegenpol zu Digitaltechnik und Technokratie? Ich meine, dass Kants "Sapere aude!" selbstverständlich einschließt, jegliche Technik als Werkzeug des Verstandes zu gebrauchen. Angesichts des derzeit horrenden Missbrauchs von (nicht nur Digital-)Technik scheint mir Kants Hinweis auf die "selbstverschuldete Unmündigkeit" - und die Notwendigkeit zu deren Überwindung höchst aktuell.

Stoff genug für mehrere Tankstellen...

Andreas, 14.04.2016.


Hier noch der Link zu dem gestern erwähnten Artikel über Foucault und Kant.

Andreas, 19.04.2016.