APRIL.Kommentare.HGG.2007-12-28

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"Ich gehe davon aus, dass die Leipzigerinnen und Leipziger sehr wohl einzuschätzen wissen, dass dieser Bürgerentscheid eine klare Antwort erfordert, nämlich Nein. ... Wir dürfen nicht handlungsunfähig werden. 520 Mill. Euro ... sind ein exzellentes Angebot ... Es abzulehnen, wäre ein Debakel für die Stadt." Ein erfolgreicher Bürgerentscheid würde "drei Jahre Stillstand bedeuten." "Wenn der Souverän gegen Privatisierungen entscheiden würde, wäre das zu respektieren. Ich würde das bedauern, weil ich der Überzeugung bin, dass das falsch ist. Wir würden weiter ackern, jeden Euro zweimal umdrehen, Einschränkungen erleben und manches geliebte Kind nicht mehr finanzieren können. Ohne den Anteilsverkauf werden wir den Haushalt nicht ausgleichen können." So weit OBM Jung im LVZ-Interview (LVZ, 24.12.2007)
Auch Regierungspräsident Steinbach macht unmissverständlich klar, dass "ein Scheitern der Stadtwerke-Privatisierung erhebliche negative Konsequenzen für die Stadt Leipzig hätte. Investitionen wären auf längere Zeit nicht mehr machbar." Darunter würde vor allem der heimische Mittelstand leiden, dem Aufträge entgingen. Das gefährde Arbeitsplätze und wäre somit "keine gute Lösung". (LVZ, 27.12.2007)

Alles klar, liebe Leipzigerinnen und Leipziger? Wagt ja nicht, gegen die Privatisierung zu stimmen, denn dann würde euch drei Jahre Obstruktion der Kreise treffen, die in Leipzig das politische Sagen haben. "Manches geliebte Kind" - im Klartext: Schulsanierungen, Sozialticket, Aufstockung der Finanzierung der freien Kultur - "wäre nicht mehr zu finanzieren".

Es gibt noch immer keinen Plan B und es geht nur um eines - kurzfristig Geld in die Stadtkasse zu bekommen, koste es, was es wolle. Nichts mehr mit strategischem Partner und auch über die weiter reichenden Konsequenzen eines - in deutschen Landen inzwischen weitgehend anachronistischen - Anteilsverkaufs kein Wort. Dabei sind die eigentlich klar und empirisch gut belegt. Wem die unendliche Geschichte von RWE und den Stadtwerken nicht reicht, der möge wenigstens folgende Erfahrungen zur Kenntnis nehmen:

Das Argument, die Verkäufe seien eine Entschuldungsmöglichkeit für Staat und Kommune, trifft nicht zu. In den öffentlichen Haushalten verpuffen die unterwertigen Einmalerlöse in kurzer Zeit. Keine einzige Stadt hat bisher durch solche Erlöse ihren Haushalt dauerhaft saniert. ... Zudem verzichten Staat und Kommunen mit den Verkäufen dauerhaft auf Steuereinnahmen und die ohnehin schon schwache Gestaltungskraft des Staates und der Kommunen schwindet weiter. (Werner Rügemer, Forum Wissenschaft 4/2006, S. 22)

Es wäre also wohl an der Zeit, dass auch die Verwaltungsspitze ernsthaft in die Diskussion von Alternativen einsteigt, die seit über zwei Jahren von den Oppositionsfraktionen B90/Grüne und Linke immer wieder angemahnt und mit konkreten Vorschlägen untersetzt wird.

Steinbach weiter:

"Laut gesetzlicher Auflage müsse Leipzig bis 2009 einen ausgeglichenen Haushalt schaffen. Davon sei die Kommune derzeit weit entfernt."

Ein Blick auf die Defizite im Stadthaushalt zeigen die sehr unübersichtliche Situation: Im Plan 2006 war ein Defizit von 25 bis 30 Mill. Euro ausgewiesen, am Ende kam ein Plus von 18 Mill. Euro heraus. Das Defizit für 2007 schätzt Kämmerin Kudla noch im Aug. 2007 auf (nur) 15 Mill. Euro, obwohl im Haushalt der Privatisierungserlös von 112 Mill. Euro eingestellt war, der 2007 definitiv nicht fließt. Dafür ist er für 2008 eingestellt - und doch weist der Haushalt ein Defizit von 44.76 Mill. Euro (Kudla, Nov. 2007) aus. Fragen über Fragen ...

Leipzig könne auch kaum mit höheren Steuereinnahmen rechnen.

Damit dürfte Steinbach allerdings recht haben. Die Steuersenkungen der Jahre 2001 bis 2004 brachten bereits Steuerausfälle in Höhe von 91.1 Mrd. Euro gegenüber 2000 (Quelle: [1]). Die - 2003 letztlich gescheiterte - Finanzreform führte dazu, dass die kommunalen Kassenkreditschulden von 6.9 Mrd. Euro (2000) auf 20.2 Mrd. Euro (2004) gestiegen sind. (Quelle: [2, S. 38]) Durch die Unternehmenssteuerreform von 2007 werden dem Haushalt jährlich mindestens weitere 5 bis 6 Mrd. Euro Körperschafts- und Gewerbesteuer entgehen. (Quelle: [1])

Literatur

  • [2] K. Jungfer: Die Stadt in der Krise. Ein Manifest für starke Kommunen. Bundeszentrale Politische Bildung, Bonn 2005.
    • Klaus Jungfer, viele Jahre Stadtkämmerer von München, will mit seinem Buch auf die Missstände aufmerksam machen. Er analysiert die Ursachen für die aktuelle Situation und zeigt mögliche Wege aus der Krise. So sollten starke Städte als Zentren von Politik, Wirtschaft und Kultur begriffen und gefördert werden. Größere finanzielle Unabhängigkeit und die Befreiung der Städte von überflüssigen Verordnungen sind wichtige Schritte in diese Richtung. Aber auch die Stadtverwaltungen selbst sind gefordert, vor dem Hintergrund knapper werdender Ressourcen gilt es, diese effizienter zu nutzen.