APRIL.2009-01-31.Beitrag-3

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Aufgaben Öffentlicher Daseinsvorsorge und die gesellschaftliche Verantwortung kommunaler Unternehmen

Dr. Andreas Schirmer, VKU-Vizepräsident, BVÖD-Vorstandsmitglied


Sehr geehrte Damen und Herren,

Über die Organisation der Dienstleistungen der Daseinsvorsorge wird bislang vor Ort in den Städten und Gemeinden entschieden – und dies mit respektablem Ergebnis.

Qualität, Versorgungssicherheit, Nachhaltigkeit, Zukunftsfähigkeit und Preiswürdigkeit örtlicher Dienstleistungen insbesondere im Bereich der leitungsgebundenen Infrastruktur der Wasserversorgung, Abwasserentsorgung und der Energieversorgung sowie dem Nahverkehr werden durch die Gebietskörperschaften gegenüber den Bürgern in den Städten und Gemeinden verantwortet.

In den einzelnen Städten und Gemeinden weiß man im Dialog mit dem Bürger, was die jeweils beste Lösung ist, vermag Zielkonflikte zu lösen sowie dies demokratisch zu vertreten und zu verantworten. Das geht gewiss nicht ohne Anstrengung und gelegentlich nicht ohne Auseinandersetzungen – ist auf alle Fälle aber gelebte Demokratie vor Ort. Und dies ist gut so.

Wer immer in Diskussionen eine Liberalisierung oder Privatisierung einfordert, mit fadenscheinigen Argumenten zumal und damit der kommunalen Selbstverwaltung eine Magersucht verabreichen will, betreibt eine Unterhöhlung der Demokratie. Magersucht ist ja mittlerweile auch bei Models der Modebranche nicht mehr In. Und wohin dies führen kann, zeigt die Situation der Energiewirtschaft in diesem Lande deutlich.

Verordnete Strukturpolitik durch Brüssel oder Berlin lehnt die kommunale Wirtschaft ab. Ich möchte im Folgenden exemplarisch die aktuelle Situation der Wasserwirtschaft erläutern:

Die Motivation hinter den Forderungen nach Liberalisierung, nach veränderten Strukturen und damit um bestimmte ordnungspolitische Vorstellungen in der deutschen Wasserwirtschaft hat zwei Aspekte und wird an zwei Schauplätzen ausgetragen:

Wenn in Berlin auch und gerade mit Blick auf Frankreich immer wieder der Ruf nach einem nationalen Champion in der Wasserwirtschaft erhoben wird und dafür kommunale Strukturen, die angeblich zu kleinteilig sind, über Bord geworfen werden sollten;

wenn in Brüssel ohne Beachtung der Unterschiede in den einzelnen Mitgliedstaaten ein einheitliches Wettbewerbsmodell mit der Etablierung neuer Ausschreibungspflichten durch eine Richtlinie zu Dienstleistungskonzessionen flächendeckend auch im Bereich der Daseinsvorsorge durchgesetzt werden soll,

dann haben solche Modelle nicht das Beste für die Bürgerinnen und Bürger in der einzelnen Kommune vor Augen, denn davon sind sie zu weit entfernt, dann sind das eben nur Modelle.

Mit Blick auf Brüssel und insbesondere die Europäische Kommission treten wir daher dafür ein, dass Dienstleistungen von allgemeinem Interesse nicht nur als eine geduldete aber zurückzudrängende Ausnahme vom Wettbewerbsmodell des Binnenmarktes angesehen und behandelt werden, sondern dass ihre Bedeutung für ein gelingendes europäisches Gesellschaftsmodell berücksichtigt wird. Organisationsfragen obliegen den Mitgliedstaaten. Sie unterfallen dem Subsidiaritätsprinzip. Brüssel muss sich aus diesen Fragen heraushalten.

Wirtschaftsliberale Ideologien wie - der Markt richtet alles- bewahrheiten sich in dieser Zeit der globaler Finanz- und Wirtschaftskrise in eigenartiger Weise. Der Markt richtet es so ein, dass am Ende der Bürger alles zahlt. Und zwar die bereits ausgezahlte Rendite der Aktionäre, die auch Bürger sein können, und die maßlosen Gratifikationen der Vergangenheit für Manager und Händler.

Eine gute Grundlage für die Verwirklichung Selbstverwaltungsfreiheit auf kommunaler Ebene bietet der Vertrag von Lissabon. Er unterstreicht die Organisationsfreiheit der Mitgliedsstaaten und erstmals auch der Kommunen bei den Dienstleistungen von allgemeinem Interesse. Dieser befindet sich im schwierigen Fahrwasser der Ratifizierung durch die Mitgliedsstaaten.


Die Kommission interpretiert den Vertrag von Lissabon allerdings in einer gewohnt eigenartigen Weise. Nach allem, was bisher dazu bekannt geworden ist, strebt sie eine detaillierte Regelung an, vergleichbar der Vergabe von Dienstleistungsaufträgen.

Bislang hatte die Europäische Kommission beabsichtigt, im Frühling 2008 ihren Vorschlag für eine Richtlinie zu Dienstleistungskonzessionen vorzulegen. Nach heftiger Kritik insbesondere aus Deutschland und aus Teilen des europäischen Parlaments wird dies nunmehr erst in diesem Jahr der Fall sein. Da die Kommission offensichtlich neue Konfliktpunkte mit den Mitgliedstaaten im Wahljahr 2009 vermeiden will, wird wohl erst Ende des Jahres mit einem Richtlinienentwurf zu rechnen sein. Etwas Zeit gewonnen für vielfältige Aktivitäten, aber die grundsätzliche Überzeugung der Kommission ist unverändert. Demokratische Selbstverwaltung und Subsidiarität – das sind Themen und vor allem Werte, die es durch alle Akteure, und da zähle ich ihr Netzwerk dazu, nach wie vor in Brüssel infiltriert und deutlich gemacht werden müssen.

Um beim Wasser zu bleiben:

  • Steter Tropfen höhlt den Stein oder
  • Wasser ist das Weichste und Härteste zugleich, es kann unsere Körper streicheln oder unter Hochdruck Stahl schneiden.
  • Mindestens noch jeder grobe Stein erfährt durch Wasser auf Dauer sanfte Rundungen.


Wasserversorgung und Abwasserentsorgung sind in Deutschland eine der wesentlichen Aufgaben kommunaler Daseinsvorsorge. Im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung entscheiden die durch die Bürgerinnen und Bürger dazu gewählten Organe der Städte und Gemeinden über die beste organisatorische Lösung oder aber die Bürgerinnen und Bürger selbst. Da die Wasserwirtschaft in Deutschland überwiegend als hoheitliche Aufgabe ausgestaltet ist, handelt es sich dabei vielfach um öffentlich-rechtliche Organisationsformen. Von diesen stehen den Kommunen unterschiedliche Varianten zur Verfügung. Möglich und insbesondere in ländlichen Gebieten häufig gewählt sind dabei auch Formen kommunaler Zusammenarbeit. Es gibt aber auch privatrechtliche Organisationsformen im Eigentum der öffentlichen Hand oder in deren Mehrheitsbesitz.

Eine völlige Privatisierung der Wasserver- und Abwasserentsorgung durch die jeweils verantwortliche Kommune ist in Deutschland nicht möglich. Die Einbeziehung Privater kann lediglich bei der Aufgabenerfüllung erfolgen. Aber auch dies ist bisher eher die Ausnahme.

Soweit zu den rein formalen Rahmenbedingungen der kommunalen Wasserwirtschaft.

Immer wieder gibt es Versuche, die private Durchführung von Aufgaben der Daseinsvorsorge als vermeintlich besser, als vermeintlich wirtschaftlicher darzustellen. Wir wissen, dass sich die Kommunalwirtschaft in aller Regel einem Vergleich bei Kosten und Qualität selbstbewusst stellen kann. Dennoch ist immer wieder die Versuchung groß, scheinbar einfachere Wege zu beschreiten, Wege, die mit Vorurteilen gepflastert sind.

Wir haben einen starken Befürworter an unserer Seite, nämlich die Bevölkerung. Wenn ich es recht beobachte, dann ist in den vergangenen 10 Jahren ein deutlicher Wandel der öffentlichen Meinung zu beobachten. Viele Studien belegen, dass die meisten Menschen in unserem Land den Wert öffentlicher Dienstleistungen zu schätzen wissen und Daseinsvorsorge durch öffentliche Unternehmen für richtig halten. Immer wieder durch Qualität und Wirtschaftlichkeit diese Auffassung zu bestätigen, das ist Sache jedes einzelnen Unternehmens.

Neben der offenen Auseinandersetzung gibt es aber auch verdeckte und deswegen womöglich sogar wirkungsvollere Angriffe auf die Kommunalwirtschaft. Die kommunalen Unternehmen der Energie- und Abfallwirtschaft bewähren sich jeden Tag aufs Neue in Konkurrenz mit anderen Anbietern. In diesem Wettbewerb sollen Qualität und Leistung entscheiden, sonst nichts. Wenn aber dem einen Marktteilnehmer alle Möglichkeiten der Fortentwicklung offen stehen und dem anderen die Chancen zur Weiterentwicklung genommen wird, dann handelt es sich um das Gegenteil eines fairen Wettbewerbes. Deswegen müssen wir allen Versuchen, das Gemeindewirtschaftsrecht einzuengen, eine entschiedene Absage erteilen. Wir haben die klare Erwartung, dass öffentliche Unternehmen dieselben Marktchancen haben wie ihre private Konkurrenz.

Das sind keine abstrakten Herausforderungen, sondern reale Gefahren. Das Gemeindewirtschaftsrecht besonders in NRW aber auch in Sachsen benachteiligt die öffentlichen Unternehmen. Und es besteht die Befürchtung, dass auch andere Bundesländer, vor allem die mit liberaler Beteiligung in der Regierung, die Chancengleichheit kommunaler Unternehmen weiter vermindern. Deswegen müssen die kommunalen Unternehmen intensiv daran arbeiten, die gesellschaftliche Bedeutung der Kommunalwirtschaft immer wieder in Erinnerung zu rufen. Wir brauchen hierzu Verbündete in der Politik und in der Gesellschaft.

Das gilt schließlich auch für eine letzte Herausforderung, die die Grundlagen vieler unserer Unternehmen und die Lebensqualität in den Kommunen massiv berührt. Der steuerliche Querverbund ist in vielen Städten und Gemeinden die Grundlage für die Organisation der kommunalen Beteiligungen. Die Städte und Gemeinden sind auch sehr konkret auf die steuerlichen Effekte dieses Konstruktes angewiesen, wenn es darum geht, Schwimmbäder und den öffentlichen Personennahverkehr sowie viele andere bürgernahe Einrichtungen aufrecht zu erhalten. Es ist kein Geheimnis, dass der steuerliche Querverbund seitens der Rechtsprechung unter Druck steht und dass wir eine verlässliche politische Entscheidung über die Zukunft des Querverbundes auf Dauer benötigen. An dieser Stelle werden die sehr engen Beziehungen zwischen den kommunalen Unternehmen und den Kommunen selbst besonders deutlich. Und deswegen müssen wir gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden dafür Sorge trage, dass bewährte Strukturen aufrecht erhalten bleiben, ohne die unser Land deutlich anders aussehen würde.

Es sind meines Erachtens im Wesentlichen vier Unterschiede, die die Kommunalwirtschaft deutlich abheben von anderen Unternehmen:

Kommunale Unternehmen haben keine privaten, sondern – mindestens mehrheitlich – öffentliche Eigentümer und deswegen beruhen sie letztlich auf einer eigenen demokratischen Legitimation.


Kommunale Unternehmen verfolgen keine privaten Interessen, sondern sie sind dem Gemeinwohl verpflichtet. Das ist ein entscheidender Unterschied, denn am Ende verfolgen private Unternehmen einen Unternehmenszweck, und das ist die Gewinnerzielung. Kommunale Unternehmen haben durchaus ein Bündel unterschiedlicher Unternehmensziele. Uns geht es nicht um Gewinnmaximierung. Die Städte und Gemeinden erwarten von Ihren Unternehmen auch eine hohe ökologische Qualität. Die kommunale Wasserwirtschaft leistet hier große Beiträge.

Private Unternehmer verfolgen den share holder value, den Aktionärsnutzen. Kommunale Unternehmen verfolgen den citizen value, den Bürgernutzen. Das Vermögen unserer Unternehmen vermehrt nicht private Vermögen, sondern das gemeinschaftliche Vermögen in den einzelnen Städten und Gemeinden.

Und schließlich: Kommunale Unternehmen sind nicht Teile großer, anonymer und zentral gesteuerter Konzerne. Sie arbeiten vor Ort, nahe am Kunden, orientieren sich an den Bedürfnissen der örtlichen Gemeinschaft und pflegen den Dialog mit allen Anspruchsgruppen.

Das alles sind Unterschiede, die gravierend sind und die Chancen bieten. In der politischen Diskussion sind wir nicht eine von vielen Lobbys, sondern wir sind Teil unseres demokratischen Systems, zu dessen Grundlagen die kommunale Selbstverwaltung zählt.

Es ist meine Überzeugung: Als Teil der Gesellschaft bewusst Mitverantwortung für das Ganze zu übernehmen wird besonders für öffentliche Unternehmen immer wichtiger. Und die Menschen setzen gerade bei einem kommunalen Unternehmen zu Recht voraus, dass es verantwortlich geführt wird, dass es nachhaltig wirtschaftet und sich für das Gemeinwohl engagiert.

Gesellschaftliche Verantwortung heißt für uns als kommunale Unternehmen in erster Linie, wirtschaftlich effizient zu agieren – und von diesem Erfolg möglichst viel der Region und ihren Menschen zurückzugeben: eine preiswürdige, zuverlässige Ver- und Entsorgung in hoher Qualität, sichere Arbeitsplätze für die Mitarbeiter mit fairem Lohn, Impulse für die regionale Wirtschaft, eine langfristig solides Ergebnis für die Gesellschafter, ein schonender Umgang mit unseren natürlichen Ressourcen – und nicht zuletzt Unterstützung für soziale Anliegen in der Region.

Unternehmerisches Handeln erfordert immer, diese gelegentlich konkurrierenden Ziele auszubalancieren. Nach meinem Verständnis ist es dabei nachthaltig, alle Entscheidungen konsequent und transparent am langfristigen Nutzen für das Unternehmen, für seine Eigentümer und seine Kunden auszurichten.

Gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen ist auch ein wichtiger Erfolgsfaktor, der zur Wertsteigerung eines jeden Unternehmens beiträgt. Und es ist ein Wert, der besonders kommunale Unternehmen auszeichnet und ihnen ein eigenes Profil gibt!

Und die Prinzipien ethischer Unternehmensführung zahlen sich langfristig aus. Eine motivierte Mitarbeiterschaft ist Garant für den Erfolg. Kürzlich las ich in der Tagespresse, dass der wirtschaftliche Schaden durch demotivierte Mitarbeiter in Deutschland 100 Mrd. € beträgt. Stellen sie diesen jährlichen Schaden zum jüngsten Konjunkturprogramm der Bundesregierung ins Verhältnis.

Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Sie haben an meinen Ausführungen vielleicht gemerkt, dass ich ein Überzeugungstäter bin. Ich bin ein überzeugter Verfechter der kommunalen Selbstverwaltung und ich bin – als einer ihrer wichtigsten Ausprägungen – ein überzeugter Anhänger der Kommunalwirtschaft.

Und: Ich bin überzeugt davon, dass kommunale Selbstverwaltung und Kommunalwirtschaft zu denjenigen Erfolgsfaktoren gehören, die seit Jahrzehnten dazu beitragen, dass unser Land zu den erfolgreichsten auf der Welt gehört und keinen Systemvergleich zu scheuen bracht.

Und nun freue ich mich auf die Diskussion mit Ihnen!