WAK.AG-Diskurs.Antraege.02d-2009

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„Die Würde des Menschen ist unantastbar“

Stellungnahme 02d-2009 von Mitgliedern der AG Diskurs

„Wir oder die“. Bereits im September 2008 hatten wir unter dem Eindruck der V-Mann-Affäre die Frage gestellt, welche Rolle Art. 1 GG für den Leipziger Stadtvorstand in seinem Kampf gegen „innerparteiliche Gegner“ spielt.

Mit der Pressemitteilung „Leipziger V-Mann-Affäre kriegt Schwung in Richtung Inlandsgeheim­dienst“ des Pressesprechers Sören Pellmann vom 22.01.2009 mit der Unterzeile „Schleuste Verfassungsschutz langjährige Schlüsselfigur der extremen Rechten mit engen Verbindungen zur offenen Neonaziszene unter falschem Namen in die LINKE ein?“ sowie der als Mitteilung 11/2009 im Pressedienst DIE LINKE. Sachsen veröffentlichten Äußerung „Offenbar viele erfundene Geschichten“ von Enrico Stange steht für uns diese Frage mit neuer Schärfe.

Was ist geschehen? Nach tagelangen Recherchen mehrerer Journalisten in Leipzig erschienen am 22.01.2009 in mehreren Zeitungen Presseberichte über die „Enttarnung“ der rechten Vergangenheit von M. In der Pressemitteilung des Stadtvorstands vom selben Tag wird u.a. öffentlich behauptet:

(1) „Damit erhärten und erweitern sich Tatsachen“, die in der Pressemitteilung vom 24.07.2008 öffentlich gemacht wurden, obwohl in jener Pressemitteilung ausschließlich unbewiesene Verdächtigungen gegen M. (mutmaßlich V-Mann des Verfassungsschutzes, unberechtigtes Führen des Doktortitels, Tragen eines falschen Namens) vorgebracht wurden. Insbesondere lautet der Tenor der aktuellen Presse, dass M. kein V-Mann war.
(2) M. „irrlichterte“ in „verschiedenen Schlüsselpositionen ... der extremen Rechten“. Neben der in sich widersprüchlichen Formulierung („Irrlicht“ in „Schlüsselpositionen“) widerspricht dies selbst Einschätzungen im Antifaschistischen Info-Blatt 47/1999, wo auf S. 41 davon ausgegangen wird, „... daß die VR bis jetzt nicht mehr und nicht weniger ist als eine weitere rechtsextreme Splittergruppe, die sich für wichtiger hält als sie ist“. Ebenso wird in der Drucksache 13/1171, Landtag von Baden-Württemberg, vom 11.07.2002, S. 5 geurteilt.
(3) Die Frage der Infiltration der Linken durch den „Verfassungsschutz im Prozess der Parteineubildung“ stelle sich „... neu und mit größerer Schärfe“, obwohl hierfür in der Öffentlichkeit nach wie vor nichts als vage Verdächtigungen kursieren und entsprechende Gerüchte fleißig genährt werden.
(4) Weiter werden in dieser Pressemitteilung „einige wohlmeinende Parteimitglieder“ direkt angegriffen und in ihrem Vorgehen als manipuliert diffamiert, die das Vorgehen des Stadtvorstands gegen M. von Anfang an und nach wie vor als neostalinistisch chrarakterisiert haben.

Enrico Stange weiß darüber hinaus zu berichten, dass mit M. ein „offenbar wegen neonazistischer Umtriebe in der DDR Inhaftierter seit 2007 eine Stasi-Opferrente beziehen kann“.

Nach ausführlicher Beschäftigung mit der Materie, in Gesprächen mit M. selbst und Prüfung uns vorgelegter Dokumente ergab sich für Mitglieder der AG Diskurs ein vollkommen anderes Bild:

(a) M. wurde nach § 213 StGB/DDR (Republikflucht) verurteilt und 1989 von der Bundesrepublik freigekauft.
(b) M. war Mitte der 90er Jahre bei den Republikanern und verschiedenen rechten Splittergruppen aktiv. Nach einer Hausdurchsuchung im Jahre 2001 hat M. beschlossen, aus der rechten Szene auszusteigen und dies danach mit einiger Konsequenz (Umzug an einen anderen Ort, Wahl eines anderen seiner drei Vornamen als Rufname) umgesetzt. Dies wurde durch die PDS-Bundesgeschäftsstelle durch ein zweimonatiges Praktikum – bewusst oder unbewusst – unterstützt.
(c) Die neuerlichen Aktivitäten von Genossen aus dem Stadtvorstand haben die von M. für seinen Ausstieg notdürftig konstruierte Legende grundlegend zerstört mit allen persönlichen, beruflichen und auch physischen Konsequenzen für M.
(d) Unabhängig von den wirklichen Umständen des Ausstiegs hat dies enorme Auswirkungen auch auf andere (potenzielle) Aussteiger aus der Szene – ihnen wurde unmissverständlich klar gemacht, dass sie immer damit zu rechnen haben, von der Linken gejagt und „enttarnt“ zu werden.
(e) Weiterhin werden damit andere Aussteiger – einer kandidierte bekanntlich für die Landesschiedskommission – sehr unmittelbar gefährdet.

In M.'s Ausstiegsphase hat ihn die Bundesgeschäftsstelle der PDS mit einem Praktikum unterstützt, in dem er u.a. als Medienreferent für Petra Pau tätig war. Ob dort zu dem Zeitpunkt M.s rechte Vergangenheit bekannt war, konnten wir nicht feststellen, jedoch war sie unmittelbar danach bekannt, wie sich aus einer Anfrage von Claudia Gohde nach M.'s Rückkehr nach Aschaffenburg an die dortige PDS-Ortsgruppe ergibt, wie uns Genosse Rückert bestätigte.

Die rechte Vergangenheit von M. war also in Führungsgremien der Linkspartei hinreichend bekannt, so dass die „Enttarnung“ keinen Erkenntniszuwachs brachte, sondern – unter Inkaufnahme der weiteren Zerstörung der Lebensgrundlagen von M. – allein der Profilierung der „Enttarner“ dient.

Als besonders brisant betrachten wir den Umstand, dass der Stadtvorstand dabei in engem Schulterschluss mit der Ortsgruppe Leipzig der DKP agiert. Dies ergibt sich insbesondere aus einem Brief des Herrn Reinhardt auf Kopfbogen der DKP-Ortsgruppe vom 09.01.2009 an den Stadtvorstand mit sehr privaten und datenschutzrechtlich relevanten Unterlagen zu M., den Herr Reinhardt dem Maintainer der AG Diskurs in Kopie zugeschickt hat. Eine solche Instrumentalisierung der Linkspartei durch eine andere Partei ist für uns ein ungeheuerlicher Vorgang.

Unterzeichner: Hans-Gert Gräbe, Ingo Groepler-Roeser, Florian Krahmer

Stand: Veröffentlicht am 19.02.2009