WAK.2007-11-14

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Sozialismus und Eigentum
Vortrag und Diskussion mit Prof. Dr. Michael Brie, Bereichsleiter Politikanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin
14.11.2007, 17 Uhr, Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, Harkortstraße 10.

Eine Veranstaltung des Rohrbacher Kreises

Ankündigung

Bereits seit einigen Wochen findet eine Unterschriftensammlung für ein Bürgerbegehren statt, welches zum Ziel hat, wichtige Teile des kommunalen Eigentums unserer Stadt zu erhalten, damit seine Verfügbarkeit für soziale Gerechtigkeit uns allen dient. Niemand will die Rückkehr zu dem unseligen Staatssozialismus. Niemand will aber auch den Missbrauch des Eigentums durch einen skrupellosen Liberalismus, in dem Eigentum grenzenloser Profit- und Machtgier untergeordnet wird. Wir wollen uns deshalb fragen:

  • Wie sichern wir durch den Erhalt des kommunalen Eigentums die soziale Gerechtigkeit in unserer Stadt?
  • Wie sichern wir durch den Erhalt des kommunalen Eigentums dauerhaft sozialen Wohlstand und Chancengleichheit für alle Bürger in unserer Stadt?
  • Wie sichern wir durch den Erhalt des kommunalen Eigentums unsere politischen, sozailen und moralischen Rechte als Bürger unseres Gemeinwesens gegen maßlose Profitgier?

Der Vortrag wird eine allgemeine theoretische Einführung geben, welche zeigen soll, dass eine moderne Auffassung über die Grundideen des demokratischen Sozialismus Ansätze für eigenständige Überlegungen gibt, welche unserem Anspruch auf soziale Gerechtigkeit, Solidarität und freie Entfaltung der Persönlichkeit dienen.

Prof. Kurt Reiprich, 1.10.2007

Bericht und Anmerkungen zur Veranstaltung

Fragen zu Sozialismus und Eigentum nehmen in der linken programmatischen Debatte einen zentralen Platz ein. So stellte Erhard Crome am 13.03.2007 seine Vorstellungen von einem "Sozialismus im 21. Jahrhundert" vor Leipziger Publikum zur Diskussion und auch Sabine Nuss, Autorin des Buches (Nuss 2006), war mehrfach in Leipzig zu Gast. Trotz thematischer Nähe stehen diese Veranstaltungen aber weitgehend unverbunden nebeneinander, da die Referenten weder voneinander Kenntnis nehmen noch entsprechender Input aus der Diskussion in Leipzig sichtbare Reaktionen hervorruft. Allein ein Streitgespräch zwischen Sabine Nuss und Chrstian Schmidt bildet hier die - möglicherweise - rühmliche Ausnahme, aber darüber kann ich mangels Anwesenheit nichts berichten.

Nun also Prof. Michael Brie, Leiter der Abteilung Politikanalyse der RLS Berlin, mit einem ähnlichen Thema. Wer erwartet hatte, dass wenigstens diesmal so etwas wie die Fortsetzung einer Debatte zu erleben sei mit Bezügen auf andere und anderes in Leipzig bereits Gesagtes, der wurde enttäuscht. Der streng monologische Charakter der Debatte wurde auch diesmal nicht durchbrochen und es ist nicht zu erwarten, dass diese Notizen ein anderes Schicksal ereilt als jene zu Cromes Vortrag - dennoch kann und will ich die Sisyphusarbeit der auch schriftlichen Kommentierung des Gehörten auf mich nehmen.

Für einen einigermaßen aufmerksamen Beobachter der Eigentumsdebatte ließen sich die Ausführungen von Michael Brie schnell einordnen - sie bewegten sich im Kontext seiner schon viele Jahre vorgetragenen Überlegungen zur zentralen Rolle von Freiheitsgütern für ein tragfähiges theoretisches Fundament eines modernes Sozialismusverständnisses.

Wie weit eine solche Güterperspektive bereits den in dieser Gesellschaft allfällig wirkenden Fetischisierungstendenzen aufsitzt, das hatte ich schon Dieter Klein bei einem Vortrag in Leipzig im Zusammenhang mit dessen Plädoyer für Universalgüter gefragt und komplettes Unverständnis für die Fragestellung geerntet. Aber sei's drum - lassen wir uns auf diese Perspektive ein. Meine weiteren Bemerkungen will ich allein auf einen Punkt der Debatte konzentrieren, der sowohl bei Brie als auch bei Crome im Vortrag eine untergeordnete Rolle spielte, dessen Bedeutung in der Diskussion nach einigen bohrenden Nachfragen aus dem Auditorium aber von Brie, anders als bei Crome, explizit betont wurde - die zentrale Rolle unternehmerischen Handelns bei der Inanspruchnahme der "Freiheitsgüter" und für die Innovationsfähigkeit auch einer sozialistischen Gesellschaft.

Mit diesem Fokus ist es bereits fragwürdig, wenn ein Vortrag mit der traditionsmarxistischen Verkürzung "Geld - Ware - Mehr Geld" der Formel G-W-G' begonnen wird. Schließlich ist eine solche Interpretation in volkswirtschaftlichem Maßstab nicht nur schlicht falsch, sondern konnotiert mit der Position, dass dieser Profit nicht "Lohn für unternehmerisches Handeln" sei, sondern primär der "Aneignung fremder Arbeit" entspringe. Die antisemitischen Wurzeln und die psychologische Bedeutung dieser Lesart für den Traditionsmarxismus wurden von der Exit!-Gruppe, vor allem Robert Kurz, ausreichend thematisiert, so dass diese Argumente hier nicht wiederholt werden müssen. Die mit einer solchen Interpretation verbundene ethisch negative Vorbelegung jedes unternehmerischen Handelns wird auch in (Ruben 1998) problematisiert, so dass heute mit aller Deutlichkeit die Frage zu stellen und zu beantworten ist, ob die Ausbeutungsverhältnisse in dieser Gesellschaft wirklich politökonomisch fundiert sind oder aber sich nur durch die - für diese Gesellschaft zentralen - politökonomischen Verhältnisse prozessieren. Es ist eine Frage ums Ganze, denn die erstere Perspektive führt in gerader Linie zur Verdammung jeden unternehmerischen Handelns heutiger Art, die zweite dagegen vermag den Spagat heutigen unternehmerischen Handelns wahrzunehmen und - vielleicht - für ein modernes Sozialismusverständnis produktiv zu wenden. Es scheint mir deshalb an der Zeit, unter der Prämisse eines positiven Verhältnisses zur Bedeutung unternehmerischen Handelns die Marxsche "Kritik der politischen Ökonomie" noch einmal durchzubuchstabieren und insbesondere das kapitalistische Wertverhältnis noch einmal genauer zu analysieren. Dabei gilt es, die Verengung auf ein rein quantitatives Verhältnis (die Sicht auf Verwertung als "tautologische Selbstbewegungsstruktur des Geldes" - R. Kurz) zu sprengen und auch die Quale-Dimension in den Blick zu bekommen. Erst ein solcher Zugang, der den (zunehmenden) unternehmerischen Spagat zwischen cash flow und work flow theoretisch zu fassen vermag, verdiente wirklich das Adjektiv "dialektisch". Überlegungen in dieser Richtung finden sich etwa in meinem Aufsatz (Gräbe 2007).

G-W-G' diente Michael Brie aber vor allem als Startpunkt für eine Analogiebetrachtung, mit der er die Marxsche Vision einer "Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist" (MEW 4, 482), in die Formel I-S-I' brachte, dass also individuelle Freiheiten (I) durch adäquate soziale Verhältnisse (S) zu mehr individuellen Freiheiten (I') führen müssten. Ob eine solche Reduktion von "freier Entwicklung" auf "Freiheitsgüter" der Marxschen Intention an dieser Stelle wirklich gerecht wird? Auch diesem Bild liegt - wie bereits dem Güterbegriff insgesamt - eine eigentümliche Statik der Sicht auf soziale Verhältnisse zu Grunde, als ob diese der Abstoßungspunkt der Individualentwicklung seien und sich nicht beide Seiten in einem komplexen Koevolutionsverhältnis befänden, das sich in vielen Schichten von praktischen Alltagsbelangen, produktiven Erfordernissen und Beschränkungen, sozialen Wirkmechanismen, juristischen und politischen Rahmenbedingungen bis hin zur Einbettung sozialer Verhältnisse in "naturgegebene" auf sehr widersprüchliche Weise - eben dialektisch - prozessiert. Auch hier wäre es höchste Zeit, einem wirklich dialektischen Verständnis Raum zu geben - irgendwie scheinen das selbst die dafür prädestinierten Kader gründlich verlernt zu haben, wie dies Rainer Thiel (noch einmal) neulich auf der Konferenz "Kybernetik - evolutionäre Systemtheorie - Dialektik" zum 80. Geburtstag von Hans Heinz Holz feststellte.

Bis wir zu einem solchen Verständnis gekommen sind, halte ich aber die Formel S-I-S' - soziale Verhältnisse werden durch (koordiniert) individuelles Handeln in bessere soziale Verhältnisse transformiert - selbst für eine "ethische Sozialismuskonzeption" (private Äußerung eines Diskussionsteilnehmers mir gegenüber über Bries Vortrag) für tragfähiger als I-S-I'. Dies nimmt einerseits soziale Verhältnisse deutlicher als veränderlich wahr und entspricht andererseits auch klarer den zeitlichen Skalen individuellen Handelns und sozialer Veränderungen. Und drittens bettet es den vagen Freiheitsbegriff von Brie im Sinne des Potsdamer Manifests (PM 2005) ein: "Wie haben wir diese Freiheit zu verstehen, wenn sie nicht die törichte Freiheit sein soll, das Falsche zu tun? Wie bewahren wir uns und die Welt mit uns vor der Willkür, nachdem wir ein Stück weit aus dem Bedingungsgefüge der 'Ko-evolution' herausgetreten sind? ... Hier gilt es, über den Verstand hinaus und, um seine Unausgeglichenheit wieder einzufangen, von dem Vermögen der Vernunft Gebrauch zu machen. ... Die Vernunft sagt uns, dass wir eine Freiheit haben und nicht einfach nur in Bedingungen eingebunden sind. Vernünftigerweise ist aber ebenso klar, dass wir im Reiche der Freiheit eine eigene Form brauchen, nicht nur die Mitwelt zu benutzen, sondern sie zu erspüren und auf sie zu antworten."

So nähern wir uns unversehens dem Hauptthema des Vortrags von Michael Brie, denn die bisherigen Ausführungen geben allenfalls den Rahmen ab, in welchen der Referent das Thema "Sozialismus und Eigentum" stellte. Geht es doch nun darum zu erklären, wie sich eine sozialistische Gesellschaftsdynamik, die den angeführten Prämissen verpflichtet ist, entfalten könnte. Der Vortragstitel lässt es vermuten - und so ist es auch: Brie spannt ein Begriffsdreieck auf, das neben den schon gewohnten Dimensionen "Freiheit" und "Gleichheit" (in der ebenso gewohnten ethischen Verabsolutierung dieser Begriffe) nun eine dritte Dimension "Eigentum" enthält. Dimension ist allerdings wohl der falsche Ausdruck, denn das entsprechende Schaubild zeigt die beiden Achsen "Freiheit" und "Gleichheit" und drei Eigentumsregimes - kapitalistische freie Konkurrenz, kapitalistische soziale Marktwirtschaft und Sozialismus - so dass aus der Sicht des Referenten Eigentum - genauer, ein je spezifischer Mix aus verschiedenen Eigentumsarten - wohl als spezielle Form zu verstehen ist, in der sich die beiden Grundkategorien "Freiheit" und "Gleichheit" prozessieren.

An dieser Stelle nun wird es schlicht makaber, wenn der Leiter des Bereichs Politikanalyse einer angesehenen Stiftung hausbackene Positionen vorstellt, die vollkommen unberührt sind von der programmatischen Diskussion der letzten Jahre in der Linken. Dass sowohl Freiheit als auch Gleichheit nur dialektisch zu fassen sind, stets mit ihrem Gegenteil schwanger gehen und eindimensionale Vorstellungen wie "Sozialismus = mehr Freiheit und mehr Gleichheit" selbst in vereinfachenden Schaubildern kontraproduktiv sind, gehört für mich zu den elementaren Weisheiten, hinter die eine linke Theoriedebatte nicht mehr zurückfallen sollte. Dass die Rezeption von (Nuss 2006), und dort insbesondere Kap. 7, bei Brie keine Rolle spielt, zeugt von arger Ignoranz auch gegenüber dem Rohrbacher Kreis als dem Gastgeber des Abends. Schließlich hat Sabine Nuss auf der Dahlener Tagung 2007 des Rohrbacher Kreises ausführlich über die Eigentumsproblematik vorgetragen und sich dort auch der Diskussion gestellt.

Bei so viel Ignoranz ist es dann schon fast unerheblich, wenn auch ein kruder Eigentumsbegriff im Raum steht, der nicht einmal zwischen der politökonomischen und der juristischen Kategorie wie in (Nuss 2006, Kap. 7.5) unterscheidet. Dass man ohne eine solche Unterscheidung nicht ernsthaft über Freiheit und Gleichheit reden kann, versteht sich von selbst, da ja gerade die juristische Kategorie Gleichheit (vor dem Gesetz) und Unfreiheit (vertraglicher Verpflichtungen) verbindet, die politökonomische aber (faktische) Ungleichheit und (unternehmerische) Freiheit. Ob die juristische Dimension dabei als "Rechtsfetischismus" abqualifiziert werden sollte wie bei (Nuss 2006), ist dann schon vollkommen zweitrangig, weil in Bries Begriffsrahmen schlicht nicht diskutierbar. Ernsthaften Fragen aus dem Publikum in dieser Richtung stand der Referent denn auch weitgehend hilflos gegenüber und kam über die Betonung der Bedeutung rechtsstaatlicher Aspekte für einen modernen Sozialismus und den vollkommen unproduktiven Rückzug auf einen Eigentumsbegriff als der "Gesamtheit bürgerlicher gesellschaftlicher Verhältnisse" nicht hinaus.

Meine letzte Frage, wie weit man damit dann aber auch diese eigentlich zu überwindende gesellschaftliche Dynamik in Gänze im Boot hat, fiel der zeitlichen Begrenzung durch den Moderator zum Opfer. Eine tragfähige Antwort wäre von Brie wohl auch nicht zu erwarten gewesen. Die wirklich zentrale Frage nach der historischen Spezifik und Dynamik von Begriffen wie Freiheit, Gleichheit, Eigentum - die Entwicklung und vielfältige Transformation des Eigentumsbegriffs innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft wird in (Nuss 2006) detailliert nachgezeichnet - bleibt weit außerhalb des Denkhorizonts des an diesem Abend Vorgetragenen.

Hans-Gert Gräbe, 17.11.2007

Links

  • WAK.2007-03-13 Bericht zur Buchvorstellung "Sozialismus im 21. Jahrhundert" der RLS Sachsen am 13.03.2007 mit dem Autor Dr. Erhard Crome.
  • (Nuss 2006) Sabine Nuss: Copyright & Copyriot. Aneignungskonflikte um geistiges Eigentum im informationellen Kapitalismus. Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2006. Siehe http://nuss.in-berlin.de
  • (PM 2005) "Potsdamer Manifest 2005" und "Potsdamer Denkschrift 2005" der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler. Siehe http://www.vdw-ev.de.
  • (Ruben 1998) Peter Ruben: Was bleibt von Marx' ökonomischer Theorie? In: Die ökonomische Theorie von Marx - was bleibt? Reflexionen nach dem Ende des europäischen Kommunismus. Hg. v. C. Warnke u. G. Huber. Marburg, Metropolis-Verlag. S. 13 - 66.
    • noch deutlicher in (Ruben 1995) Ist die Arbeitskraft eine Ware? Ein Beitrag zu einer marxistischen Marxkritik.
    • pdf der Texte unter http://www.peter-ruben.de